Als die Sicherheitsdirektion für Oberösterreich 1947 einem Schleichhändlerring auf die Schliche kam, ahnte wohl keiner der Ermittler, dass man alsbald in einem nachrichtendienstlichen Sumpf feststecken würde. Ursprüngliche Intention der polizeilichen "Aktion Sacher" war, den Schmuggel mit "Mangelwaren", vorwiegend mit Saccharin und Kokain, zu beenden.
Im Zuge der Ermittlungen ergab sich freilich, dass die Hintermänner der Schleichhändler ehemalige Nationalsozialisten waren, die sich mit gefälschten Personalpapieren versteckt hielten. Zwei der führenden Köpfe der Schmugglerbande, Hugo Rößner und Theodor Soucek, standen sogar direkt unter der Protektion des Counterintelligence Corps (CIC), das überhaupt rege Kontakte zu den wichtigen Akteuren der Rößner-Gruppe unterhalten hatte. Rößner, früher SA-Mitglied, und der Grazer Kaufmann Soucek, der auch in den 1950er-Jahren noch als notorischer Rechtsextremer auftrat, wurden vom CIC auch dann noch protegiert, als bereits gegen sie ermittelt wurde. Der Hauptgrund hierfür sei die "betont antikommunistische Ausrichtung der ,Ehemaligen', die sie als Beschaffer von nachrichtendienstlichen Informationen und als Personalreserve im Falle einer Invasion der Roten Armee interessant machte".
Das schreibt der Zeithistoriker Thomas Riegler in der Juli-Ausgabe des Journals der Österreichischen Gesellschaft für Geheimdienst, Propaganda und Sicherheitsstudien (JIPSS) an der Karl-Franzens-Universität Graz. Riegler stützt sich in seinem Artikel primär auf staatspolizeiliche Unterlagen im Österreichischen Staatsarchiv, die, auf vier Boxen aufgeteilt, den gesamten Polizeiakt der "Aktion Sacher" beinhalten.
Österreich als Basar
Die Querverbindungen, die darin zwischen den alten Nazis und den alliierten Westmächten sichtbar werden, sind mannigfaltig und zeigen das in vier Besatzungszonen aufgeteilte Nachkriegsösterreich als Basar für Informationshandel in einem politischen Klima, das permanent aufgeladen war durch Paranoia, Spannungen und latente Kriegsangst. In dieser Dritte Mann-Stimmung in der Frühphase des Kalten Kriegs wurde offenbar mit jedem geklüngelt, der verhieß, nützliche Informationen über den Gegner liefern zu können.
Der US-Nachrichtendienst hatte noch in den 1940er-Jahren – auf dem Papier – ein "stay behind"-Programm entwickelt, das die Herausbildung paramilitärischer Strukturen im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West befürwortete. Nach einer Invasion der Roten Armee in Österreich sollten Partisanennetze tätig werden – und dafür erschienen den Amerikanern die "Ehemaligen" gerade recht.
Denn die Führung eines Guerilla- und Bandenkriegs war auch eine der zentralen Überlegungen der NS-Untergrundbewegungen, etwa auch des ehemaligen SS-Hauptsturmführers Otto von Bolschwing, der für die US-Auftraggeber gleich zehn Informantennetzwerke in Österreich aufbaute. Auf Bolschwings Informantenliste fanden sich auch prominente Namen – etwa der verstorbene langjährige Presse-Chefredakteur Otto Schulmeister.
Die ehemaligen Nazis einte mit den Westalliierten, dass beide Seiten um jeden Preis eine kommunistische Machtübernahme in Österreich verhindern wollten.
Beste Verbindungen
Vor allem Souceks und Rößners Organisationen – Letztere tarnte sich als "Alpensportverein Edelweiß" – hatten potente Helfer innerhalb der Besatzungsbürokratie und bei den Betreuungsstellen für Kriegsheimkehrer, die SPÖ und ÖVP errichtet haben. Dort traf Soucek auch auf den späteren Innen- und Verteidigungsminister Otto Rösch (SPÖ), der ihm Blankoformulare und Pässe besorgte.
Einer der bekanntesten Zuträger des CIC in Österreich war Wilhelm Höttl, ehemals SS-Obersturmbannführer und Referent im Auslandssicherheitsdienst des NS-Regimes. Höttl machte nach dem Krieg eine erstaunliche Karriere: Der studierte Historiker gründete das Privatrealgymnasium in Bad Aussee, arbeitete als Autor und spionierte, mit Spezialgebiet Ungarn und Balkan, für verschiedene Geheimdienste. Schon 1948 führte Höttl im Auftrag des CIC ein großangelegtes Spionageunternehmen durch: Er installierte mit zwei Ex-Waffen-SSlern zwei Spionagenetzwerke in Osteuropa unter den Codenamen "Montgomery" und "Mount Vernon".
In seinen Memoiren pflegte der 1999 verstorbene Höttl angenehme Erinnerungen an die US-Auftraggeber. Er beschrieb ein Treffen mit CIC-Salzburg-Chef Edward Prix in Salzburg, der ihn, Höttl, fragte, ob "mein Angebot, das von mir geschaffene Invasionsnetz in Osteuropa den Amerikanern zur Verfügung zu stellen, noch stehe". Im Gegenzug soll Prix versprochen haben, "alle in Frage kommenden Mitarbeiter zu decken, auch wenn sie hohe Nazis waren".
Schonzeit für Nazis
Das gegenseitige Misstrauen der alliierten Mächte zog sich quer durch Europa. Schon 1945 versuchten die Westalliierten, Informationen aus den sowjetisch besetzten Gebieten Europas zu bekommen. In Italien etwa wurde unter US-Kommando ein Stab für Balkanfragen aktiv, der ein unauffälliges, aber sehr effizientes Netzwerk aus ehemaligen ungarischen Unabhängigkeitskämpfern, Jesuiten und Exdiplomaten gründete, wie US-Historiker Duncan Bare im JIPSS-Journal schreibt.
In Österreich erwiesen sich die "Ehemaligen" auf Dauer als wenig zuverlässige Informationszuträger. Die Amerikaner kamen etwa dahinter, dass Höttls "Netzwerk" hauptsächlich aus Zeitungen abschrieb. Dennoch behinderten die Amerikaner die Ermittlungen der österreichischen Behörden gegen die drei nach Kräften und setzten ihre Verbindungen ein, um die "Belasteten" möglichst zu schonen – und nicht selbst in peinliche Erklärungsnot zu kommen.
Der "Nachrichtenbazar", den die Alliierten im Nachkriegsösterreich mithilfe der alten Nazis etablierten, stellte jedenfalls eine "massive subversive Bedrohung für die junge Demokratie dar", sagt Historiker Riegler zum STANDARD. Die undurchsichtige Rolle des späteren Ministers Rösch und die Verbindungen der NS-Untergrundbewegungen zu politischen Parteien zeigen die Unzulänglichkeiten des jungen Österreich bei der Entnazifizierung. (Petra Stuiber, 27.6.2015)