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Ayatollah Ali Khamenei ist seit 1989 der oberste Rechtsgelehrte des Iran und leitet somit die Islamische Republik viel länger, als Khomeini es vor ihm getan hat.

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Teheran/Wien – Je näher das Ende der Frist rückt, die sich die Verhandler des iranischen Atomprogramms gegeben haben, desto mehr wird von den Medien – die in den vergangenen eineinhalb Jahren mit Informationen kurz gehalten wurden – jedes Statement der Beteiligten auf mögliche Hinweise nach dem Ausgang abgeklopft. Besonders was der religiöse Führer der Islamischen Republik, Ali Khamenei, sagt, der zweifellos im Iran die letzte Instanz für Annahme oder Absage eines Deals ist, wird als endgültiges Verdikt genommen – und nicht als hohe Ansagen in einem harten Poker.

Wie unverrückbar die roten Linien sind – derzeit die Verweigerung der Inspektionen in der Militäranlage Parchin, die Forderung nach einer sofortigen Sanktionsaufhebung und das Nein zu Beschränkungen in der nuklearen Forschung – kann niemand genau sagen. Wahrscheinlich sind sie unterschiedlich stark rot. Der Iranist Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie in Wien meint, das letzte Wort sei noch nicht gesprochen, Khamenei habe zu keiner Frage öffentlich ein "hukm", ein verbindliches Urteil, gefällt. Die "historische Flexibilität", deren Notwendigkeit Khamenei an einem gewissen Punkt der Nuklearverhandlungen verkündete, ist nicht vom Tisch.

26 Jahre an der Macht

Ayatollah Ali Khamenei, der im Juli 76 Jahre alt und immer wieder von gesundheitlichen Problemen geplagt wird, leitet als "oberster Rechtsgelehrter" den Iran seit dem Tod Ruhollah Khomeinis im Juni 1989, also seit 26 Jahren, deutlich mehr als doppelt so lange als Khomeini nach der islamischen Revolution 1979. Bis 1989 war Khamenei Präsident. Dass er an die Staatsspitze kam, war dem Zerwürfnis Khomeinis mit seinem lange als sicher geltenden Nachfolger Ali Montazeri geschuldet – bis dahin hatte auch die Regel gegolten, dass der Nachfolger Khomeinis ein Großayatollah sein sollte, was Khamenei nicht war und was ihm ein Teil des schiitischen Klerus bis heute ankreidet.

Laut Posch hat Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, der 1989 seinerseits Khamenei als Präsident ablöste, bei dessen Promotion eine Rolle gespielt. Heute haben sich die politischen Wege der beiden längst getrennt (was nicht gleich einen Bruch bedeutet, es herrscht so etwas wie Burgfrieden).

Akbar Ganji, der iranische Dissident, schreibt in seinem berühmten Foreign Affairs-Artikel "Wer ist Ali Khamenei", dass der spätere Führer des Iran derjenige der iranischen Islamisten war, der am meisten Kontakt auch zu säkularen Intellektuellen und Oppositionellen zur Schah-Diktatur hatte. Er beschreibt Khamenei, anders als die übliche antiiranische Propaganda, nicht als simplen irrationalen islamischen Zeloten, sondern als stark unter dem Eindruck der Weltpolitik seiner Zeit stehend, den Spannungen zwischen dem kapitalistischen Westen, besonders der USA, und der "dritten Welt".

Victor Hugo und Steinbeck

Khamenei, der sich erst im Februar dieses Jahres per Twitter als "gieriger Leser" von Romanen bezeichnete, hat eine Liste von Lieblingsbüchern, die zeigen, dass seine Weltsicht nicht nur vom Islam geformt wurde: Victor Hugos Les Misérables ist ebenso darauf zu finden wie John Steinbecks The Grapes of Wrath. In seinem Tweet erwähnt er die Revolutionsromane von Michail Scholochow und Alexej (sic!) Tolstoj. Es erübrigt sich zu sagen, dass das nichts mit Kommunismussympathien zu tun hat – marxistische Gruppen wurden im Iran immer verfolgt.

Posch beschreibt Khamenei als "politischen Realisten", der akzeptiert, dass Wohlstand und Entwicklung nicht ohne Integration des Iran in die Weltwirtschaft zu erreichen sind: Und deshalb müssen die Sanktionen weg, die im Zuge des Atomstreits gegen das Land verhängt wurden (mit weniger harten, seit Jahrzehnten in Kraft, hat der Iran leben gelernt).

Bereits 2009 stellte Khamenei klar, dass beim Verhältnis des Iran zu den USA nicht die Ideologie, sondern iranische Interessen ausschlaggebend sein sollten. Dass das nicht allen im Iran passt, ist klar: den echten Hardlinern und jenen, die von der jetzigen Situation profitieren.

Mit der einen Hand unterstützt Khamenei die Regierung von Hassan Rohani, mit der anderen beruhigt er die anderen Sektoren der Gesellschaft. Diesen Ausgleich hat er schon verschiedentlich praktiziert: als er 2005 die soziale Unruhe im Land spürte und den Mann der kleinen Leute, Mahmud Ahmadi-Nejad, unterstützte, genauso wie in den Jahren nach 2009, als er versuchte, den von der umstrittenen Wiederwahl Ahmadi-Nejads entfremdeten Teil der Gesellschaft wieder etwas mehr Luft zum Atmen zu geben. Die Wahl Rohanis 2013 war eine Folge davon. Aber diesmal ist der Balanceakt besonders schwierig, da es auch um die Beziehung zum "Großen Satan" USA geht.(Gudrun Harrer, 27.6.2015)