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Koreaner sind tendenziell daran gewöhnt, überwacht zu werden.

Foto: Reuters/Kim Hong-Ji

In Südkorea besitzen über 80 Prozent der Bevölkerung ein Smartphone, flächendeckendes WLAN ist in urbanen Räumen Standard, die Internetleitungen gelten als schnellste der Welt. Dennoch schreibt das Land am Han-Fluss derzeit ein dunkles Kapitel in seiner Erfolgsgeschichte: Noch nie wurde das Netz derart exzessiv überwacht wie unter der amtierenden Präsidentin.

Erst im September 2014 beschwerte sich Park Geun-hye, dass die Gerüchte in Online-Foren über sie "zu weit" gehen würden. Die Staatsanwaltschaft nahm dies zum Anlass, eine Sondereinheit zur Internetüberwachung zu gründen. Das erste prominente Opfer war bald gefunden: eine Lehrerin, die online den Rücktritt der Präsidentin forderte. Dass die Beschuldigte einen ausländischen – und daher für die koreanische Strafverfolgung nicht einsehbaren – E-Mail-Server benutzte, wollten die Staatsanwälte damals als Schuldgeständnis anlasten.

98 Prozent der Anfragen vom Geheimdienst

Unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit werden regelmäßig Gewerkschafter, Journalisten und Oppositionelle ausspioniert. Jahrelang haben die drei großen Telekommunikationsfirmen des Landes im großen Stil die Kontaktdaten ihrer Kunden an Behörden weitergegeben – ohne je einen richterlichen Bescheid zu verlangen, geschweige denn die Überwachungsopfer zu informieren. Allein in der ersten Jahreshälfte 2014 waren mehr als sechs Millionen Telefonnummern betroffen.

Über 98 Prozent aller Überwachungsanfragen kommen vom südkoreanischen Geheimdienst. Dieser hatte bereits im Vorfeld zur Wahl der amtierenden Präsidentin für einen Cyberskandal gesorgt: Mit gefälschten Accounts schrieben Geheimagenten über 1,2 Millionen Twitter-Nachrichten, in denen sie die Oppositionskandidaten etwa als "Kommunistenschweine" diffamierten.

"Daran gewöhnt"

Der Aufschrei der Zivilgesellschaft blieb bislang vergleichsweise verhalten. "Wir haben eine lange Periode an Diktatoren überdauern müssen. Koreaner sind daran gewöhnt, überwacht zu werden", sagt Internetaktivist Oh Byoung-il. Zudem verortet der 45-Jährige eine kulturelle Eigenheit: "Viele Koreaner sind mit dem Konzept von Privatsphäre nicht vertraut. Das ist eine westliche Idee, die es in unserer kollektivistischen Historie nicht gab." (Fabian Kretschmer, 29.6.2015)