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Ben Wizner (ACLU) ist Snowdens Anwalt – und gilt als enger Vertrauter und Berater des Whistleblowers

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Der Kontakt zu Snowden wird hergestellt, als dieser am Moskauer Flughafen festsitzt

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Doch die ACLU kämpft schon länger gegen den datenhungrigen Geheimdienst – und verklagt die US-Regierung schon 2007 wegen des "Patriot Acts"

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Dass die NSA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ohne richterlichen Bescheid auf Telefonate und E-Mails zugreifen kann, sei verfassungswidrig – so die ACLU

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Der Rechtsstreit wird abgewiesen – erst, als der Guardian 2013 dank Snowden neue Beweise vorliegt, kann die ACLU weiterkämpfen. Jetzt entschied ein US-Gericht, dass das Handeln der NSA verfassungswidrig war

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Die ACLU ist auch in anderen Bereichen aktiv, etwa im Kampf gegen Drohneneinsätze

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Wichtigster Verbündeter bleibt aber Edward Snowden

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STANDARD: Was würde passieren, wenn Edward Snowden plötzlich in Berlin auftauchen würde?

Wizner: Dann hätte die deutsche Regierung ein riesiges Problem. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung Snowden unterstützt. Außerdem hat Deutschland eine starke Rechtstradition, es müssten also Gerichte über Snowdens Asyl entscheiden. Er würde wohl als politischer Flüchtling gelten.

STANDARD: Plant Snowden, aus Russland auszureisen?

Wizner: Das kann ich nicht für ihn beantworten. Wir denken aber, dass die Geschichtsschreibung auf seiner Seite ist – vergeht noch mehr Zeit, werden sich noch mehr Möglichkeiten eröffnen.

STANDARD: Wäre es aus der Perspektive der US-Regierung nicht besser, Snowden säße in einem neutralen Land wie Österreich statt in Putins Russland?

Wizner: Natürlich. Zurzeit gibt es aber nur zwei Alternativen: Moskau oder ein Hochsicherheitsgefängnis in den USA. Wären wir davon überzeugt, dass ein westeuropäisches Land Snowden aufnehmen würde, käme er sofort. Aber jeder Staat weigert sich, darüber zu reden.

STANDARD: Österreich geriet ja eher zufällig in die Geschichte von Snowdens Odyssee, als im Juli 2013 das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales in Wien notlanden musste, weil man Snowden an Bord vermutet hatte.

Wizner: Eine absurde Geschichte: Snowden war damals zwar auf einem Moskauer Flughafen gestrandet – Morales' Maschine hob aber von einem anderen Airport ab. Es war eine demütigende Situation: für die USA, für Bolivien und für Österreich.

STANDARD: Was wäre wohl passiert, wenn Snowden in Wien ausgestiegen wäre?

Wizner: Darüber kann ich nicht einmal spekulieren. Die Frage richtet sich aber an die österreichische Bevölkerung und ihre Regierung. Hätten sie ein faires Verfahren ermöglicht? Hätten sie ihn einfach an die USA ausgeliefert?

STANDARD: Bundeskanzler Werner Faymann wurde gefragt, ob ihn die Spionage durch NSA und BND stört. Seine Antwort: Er wolle so leben, dass er vor niemandem Angst haben müsse, der ihn abhört. Die richtige Reaktion?

Wizner: Ein US-amerikanischer Akademiker namens Paul Ohm hat die These aufgestellt, dass es über jeden Menschen auf der Welt eine Information gibt, die ihn ins Verderben stürzen könnte. Privatsphäre bedeutet nicht, dass man etwas heimlich tun kann – ein weitverbreitetes Missverständnis. Edward Snowden hat das wunderbar formuliert: Wer meint, auf Privatsphäre verzichten zu können, weil er nichts zu verbergen hat, agiert wie einer, der die Meinungsfreiheit aufgibt, nur weil er gerade nichts zu sagen hat. Diese Frage nur aufgrund der eigenen Lebensumstände zu beurteilen läuft ins Leere.

STANDARD: Dennoch stoßen Überwachungsmaßnahmen durchaus auf die Unterstützung der Bevölkerung, etwa hierzulande die Vorratsdatenspeicherung. Was wäre passiert, hätte die US-Regierung die von Snowden enthüllten Programme transparent eingeführt?

Wizner: Das ist eine sehr gute Frage, die auch in Geheimdienstkreisen debattiert wird. Dort vermutet man, dass die Programme noch bestehen würden, wären sie offen eingeführt worden. Denn nicht die Snowden-Dokumente an sich haben zu einem Aufschrei geführt, sondern vor allem der Kontrast zwischen den Dokumenten und öffentlichen Statements von Verantwortlichen.

STANDARD: Der Geheimdienstkoordinator James Clapper hat etwa vor dem Senat dementiert, Daten von US-Bürgern zu sammeln.

Wizner: Genau. An diesem Punkt kamen Fragen auf, warum die Programme versteckt werden. Es wurde für Geheimdienste und Regierung zunehmend schwieriger, die Bürger einfach um ihr blindes Vertrauen zu bitten. Außerdem schockierte die Tatsache, dass Snowden einfach Dokumente nehmen, in ein Flugzeug steigen und fliehen konnte – das System war also alles andere als sicher.

STANDARD: Die Debatte in den USA dreht sich natürlich primär um das Ausspähen eigener Bürger. Aber welche Rolle spielt die Spionage gegen verbündete Europäer?

Wizner: Hier geht es nicht nur um Gesetze, sondern vor allem um Möglichkeiten. Es gibt bislang keine europäische Regierung, die Auslandsspionage juristisch einschränkt. Aber Österreich hätte etwa nicht die Ressourcen und Möglichkeiten, um den Internetverkehr aller Nutzer zu überwachen. Wir brauchen allerdings eine weltweite Debatte und ein Modell, das solche Fragen behandelt. Allerdings: Für mich ist es dennoch gefährlicher, wenn mich meine eigene Regierung ausspioniert – denn sie kann meine Freiheit und mein Leben einschränken. Wenngleich die USA natürlich ein Spezialfall sind, weil deren Regierung auch außerhalb ihrer Ländergrenzen agiert – man denke etwa an Drohnenangriffe.

STANDARD: Das österreichische Parlament hat sich als einziges weltweit einstimmig gegen Spionage ausgesprochen, in Deutschland tagt ein NSA-Untersuchungsausschuss. Haben die Snowden-Enthüllungen außerhalb der USA mehr Eindruck hinterlassen?

Wizner: Ich muss hier an den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger denken, der den chinesischen Führer Mao fragte, was dieser von der Französischen Revolution hielt. Mao sagte: Es ist noch zu früh, darüber zu entscheiden. Ich zitiere hier Mao: Um die Konsequenzen von Snowdens Handeln zu beurteilen, ist es noch zu früh. Ich glaube aber, dass die USA führen: Während Australien oder Frankreich noch stärkere Überwachungsmaßnahmen beschlossen haben, hat der US-Senat vor drei Wochen erstmals seit den 1970ern die Rechte der NSA beschnitten. Das war zwar inhaltlich nur ein kleiner Schritt, jedoch mit großer Symbolwirkung.

STANDARD: Nächstes Jahr stehen US-Präsidentschaftswahlen an. Welche Rolle werden die NSA und Edward Snowden da spielen?

Wizner: Es ist schon herausragend, dass sie überhaupt ein Thema sind. Bislang gab es keinen Wahlkampf, in dem Geheimdienste vorkamen. Mit dem republikanischen Abgeordneten Rand Paul hat die Materie aber schon jetzt ein Präsidentschaftskandidat zu einem Schlüsselthema seiner Kampagne gemacht. Das zwingt alle anderen Kandidaten, darüber zu debattieren. Allein das ist ein Sieg für die Bürgerrechte.

STANDARD: Phil Zimmermann, Erfinder der Verschlüsselungssoftware PGP, hofft, dass Überwachung genauso wie die absolute Monarchie oder Sklaverei überwunden werden könne.

Wizner: Ich würde Überwachung nicht in dieser Kategorie sehen. Selbst Edward Snowden will Überwachung ja nicht beenden – immerhin arbeitete er für NSA und CIA. Gezielte Überwachung ist wichtig für eine Demokratie. Aber die passive Sammlung jedweder Information über alle Bürger ist eine große Gefahr.

STANDARD: Und ökonomisch ein Problem für große US-Techfirmen.

Wizner: Ja. Wenn sie für den Rest der Welt als Handlanger der NSA betrachtet werden, hat das für sie drastische finanzielle Auswirkungen. Gleichzeitig haben sie erfahren, dass sie – selbst wenn sie richterlichen Beschlüssen folgen – zusätzlich von der NSA infiltriert werden. Daher weigern sich diese Firmen nun, beispielsweise Verschlüsselungsstandards zu schwächen.

STANDARD: Wirtschaftliche Gründe geben also den Ausschlag?

Wizner: Durchaus. Aber es geht auch darum, die Geheimdienste politisch zu kontrollieren und Missstände öffentlich zu machen.

STANDARD: Doch die US-Regierung führt einen "Krieg gegen Whistleblower", der sich nach Meinung von Bürgerrechtlern unter Barack Obama noch verschärft hat.

Wizner: Ja. Wir reden hier aber von einer kleinen Anzahl von Fällen, daher sind repräsentative Aussagen schwierig abzuleiten. Es gibt aber mehr Anklagen; vielleicht, weil Whistleblower durch digitale Forensik besser aufzuspüren sind. Aber: Es gibt wohl keinen Präsidenten, der Snowden nicht angeklagt hätte. Ich beschwere mich darüber auch nicht – wohl aber über die Gesetze, unter denen er verfolgt wird. Der US Espionage Act stammt aus dem Ersten Weltkrieg und unterscheidet etwa nicht, ob Infos an fremde Mächte verkauft oder Journalisten übergeben wurden.

STANDARD: US-Geheimdienste argumentieren, Whistleblower wie Wikileaks-Informantin Chelsea Manning, die sie auch vertreten, seien sogar schlimmere Verräter, da sie ihre Infos durch Medien an alle fremden Mächte weitergeben.

Wizner: Ja – diese Denkweise ist demokratiepolitisch aber ein echtes Problem. Die Frage der nationalen Sicherheit darf aber nicht das einzige Kriterium sein. Ein Beispiel: Zahlreiche Medien brachten Berichte und sogar Fotos über Misshandlungen von Gefangenen im Abu-Ghraib-Gefängnis, das US-Soldaten im Irak kontrollierten. Ich hege keinen Zweifel, dass durch diese Aktionen US-Soldaten getötet oder Terroristen motiviert worden sind. Das heißt aber nicht, dass man diese Fotos hätte zurückhalten sollen. Wir dürfen uns nicht nur Sicherheit wünschen, sondern müssen auch an die Demokratie denken. Diese Debatte ist mit dem Espionage Act nicht möglich.

STANDARD: Deshalb bleibt Snowden auch in Moskau?

Wizner: Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, mit der US-Regierung über einen fairen Prozess zu reden. Ich kann zwar nicht ins Detail gehen, aber wir bereiten uns darauf vor.

STANDARD: Wie wurde Snowden zu Ihrem Mandanten?

Wizner: Nach den ersten Enthüllungen floh Snowden von Hongkong nach Moskau, wo er in der Transitzone des Flughafens feststeckte. Damals brachte uns der Journalist Glenn Greenwald miteinander ins Gespräch. Snowden war ein großer Unterstützer der American Civil Liberties Union (ACLU), ein von uns angestrengter Rechtsstreit hat ihn motiviert, an die Öffentlichkeit zu gehen.

STANDARD: Es ist aber keine klassische Anwalt-Mandant-Beziehung?

Wizner: Nein. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Einschränkung von Bürgerrechten zu bekämpfen. Ich habe Snowden am Anfang erklärt, dass hier ein Interessenkonflikt entstehen könnte: Als Anwalt müsste ich ihm vielleicht raten, die Publikation von Dokumenten zu verhindern. Snowden meinte daraufhin, dass ich dann im Sinne der ACLU handeln und ihm einen neuen Anwalt suchen soll.

STANDARD: Wie verbringt Snowden seine Zeit in Moskau?

Wizner: Auch hier berate ich ihn. Er muss ja seinen Lebensunterhalt bestreiten und sich etwa entscheiden, ob er ein Buch schreibt oder als Redner auftritt. Snowden ist ja bloß 31 Jahre alt, hat also noch den größeren Teil seines Lebens vor sich. Man darf nicht vergessen, dass er ein extrem talentierter IT-Sicherheitsexperte ist. Auch wenn es unrealistisch ist, hofft er, dass ihn die Beschreibung "NSA-Whistleblower" nicht für den Rest seines Lebens identifiziert.

STANDARD: Die Chance besteht.

Wizner: Die US-Regierung lanciert oft, dass Snowden ein Egomane wäre. Doch er sträubt sich, Interviews zu geben, und muss immer neu überzeugt werden. Doch wir brauchen ihn – seine Botschaft ist zu wichtig, und leider gibt es zurzeit nur einen Edward Snowden. (Fabian Schmid, 27.6.2015)