Kanzlerin Angela Merkel

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Konstantin von Notz (Grüne) ist im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags vertreten.

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Das Schweigen dieser Woche in Berlin war auffällig laut. Kanzlerin Angela Merkel wollte die Bespitzelung französischer Präsidenten durch die NSA nicht kommentieren, auch ihr Sprecher rang sich kein Statement ab.

Vermutlich erinnerte man sich an jene Tage, an denen die Lust der NSA auf deutsche Daten bekannt wurde. Da war Merkel ziemlich wütend und blaffte jenen Satz Richtung USA, der ihr jetzt immer wieder um die Ohren fliegt: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht." Wer hätte damals gedacht, dass es doch ganz gut geht, weil die Freunde ja bereitwillig mitmachen?

Wie genau der deutsche Bundesnachrichtendienst der NSA jahrelang aushalf, das versucht seit mehr als einem Jahr ein parlamentarischer U-Ausschuss zu klären. Für den Vizefraktionschef und Obmann der Grünen im Ausschuss, Konstantin von Notz, ist im Interview mit dem STANDARD eines schon klar: "Die Schuld liegt nicht nur beim Dienst, sondern durchaus auch bei der Politik."


STANDARD: Der NSA-Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag soll ja "Ausmaß und Hintergründe der Ausspähung durch ausländische Geheimdienste in Deutschland" aufklären. Das versucht er seit mehr als einem Jahr. Wo steht man jetzt?

Von Notz: Wir sind auf einem guten Weg und haben schon einiges herausgefunden. Etwa dass der rechtliche Rahmen der Fernmeldeaufklärung nicht mehr passt, weil man aufgrund der Technik nicht mehr in der Lage ist, stichprobenmäßig Verkehre aufzuklären, sondern der Versuchung der unbegrenzten technischen Möglichkeiten erliegt, zu sammeln was geht. Vonseiten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Innenministeriums wurden daher Kontrollgremien offenbar bewusst umgangen und belogen, um bestimmte Genehmigungen zu bekommen. Wir wissen heute, dass das parlamentarische Kontrollgremium über zahlreiche Operationen, die man gemacht hat, nicht informiert wurde – beispielsweise die Aktionen "Eikonal" oder "Monkeyshoulder". Man wusste im Bundeskanzleramt auch, dass die Amerikaner über die deutschen Aufklärungsinteressen hinaus Begehrlichkeiten haben. Und man hat billigend – oder vielleicht sogar vorsätzlich – jahrelang in Kauf genommen, dass bei dieser Kooperation deutsche und europäische Interessen verletzt werden.

STANDARD: Führt der BND ein Eigenleben? Oder weiß es die Regierung und schweigt?

Von Notz: Wir halten uns mit Schlussfolgerungen oder gar vorschnellen Rücktrittsforderungen derzeit bewusst zurück, da die Arbeit des Ausschusses ja noch andauert. Bauernopfer helfen niemandem. Ich glaube auch, dass die Schuld nicht nur beim Dienst, sondern durchaus auch bei der Politik liegt. Kurios ist, dass das Kanzleramt, bei dem die Fach- und Rechtsaufsicht zu 100 Prozent versucht, die Schuld beim Bundesnachrichtendienst abzuladen. Aber da macht man es sich bei weitem zu einfach. Sicher hat der BND Fehler gemacht, aber es haben nach heutigem Kenntnisstand auch mehrere Regierungen in Sachen Aufsicht versagt.

STANDARD: Haben es sich die Dienste in ihrer dunklen Nische bequem gemacht?

Von Notz: Ohne Edward Snowden wüssten wir von all den üblen Vorgängen nichts. Die großen Löschaktionen von Selektoren beim BND sind alle eine Reaktion auf Snowden – ebenso, dass man darauf gekommen ist, dass das Handy der Bundeskanzlerin abgehört worden ist. Da ist offensichtlich etwas gewachsen, das das öffentliche Licht extrem gescheut hat – aus offenkundiger Angst, dass man da nicht so weitermachen kann, ohne dass etwas passiert. All das wollen wir jetzt aufklären. Dass wir diese rechtsstaatlich notwendigen Diskussionen so intensiv führen, ist zweifellos ein Verdienst von Edward Snowden.

STANDARD: Die deutsche Bundesregierung sagt, nur eine Vertrauensperson dürfe Einsicht in die NSA-Selektorenliste für den BND bekommen, nicht aber die Bundestagsabgeordneten.

Von Notz: Ich halte den Einsatz einer Vertrauensperson für konstruiert, das Gesetz sieht einen solchen auch nicht vor. Dass keine Begeisterung bei der Bundesregierung herrscht, ist klar. Aber dass apokalyptisch das Ende der transatlantischen Partnerschaft gezeichnet wird – für den Fall, dass demokratisch legitimierte deutsche Parlamentarier die NSA-Selektorenliste für den BND sehen –, das halte ich für maßlos übertrieben. In den USA ist den Parlamentariern durchaus klar, dass die Dienste kontrolliert werden müssen. Wenn man mit einem Rechtsstaat wie den USA geheimdienstlich kooperiert, dann muss man auf dem Zettel haben, dass man einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Das ist in Demokratien nun einmal so. Und wir Deutschen akzeptieren es ja auch, wenn wir mit den USA kooperieren.

STANDARD: Es gibt ja auch Forderungen nach einer völligen Abschaffung der Geheimdienste. Wäre das in Ihrem Sinne?

Von Notz: Nein, dafür bin ich nicht. Wir brauchen Geheimdienste. Aber es muss eben eine umfassende und effektive parlamentarische Kontrolle geben. Sollten wir eines Tages zum Ergebnis kommen, dass das nicht möglich ist, weil die Bundesregierung einen eigenen Prüfer dazwischenschalten kann, dann stellt sich die Frage der Legitimation der Geheimdienste nochmal neu.

STANDARD: Die Regierung will die USA nicht verärgern. Verstehen Sie das nicht?

Von Notz: Die Bundesregierung versucht es so darzustellen, dass die USA der schwierige große Bruder seien. Tatsächlich aber machen die Deutschen ja mit vollem Wissen seit Jahren bei alledem munter mit. Im Sommer 2013 hat sich Merkel mit ihrer Aussage, "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht", noch ganz entsetzt gezeigt. Man hat sich öffentlich echauffiert. Und dann zeigte sich, dass die Deutschen mitmachten. Sich dann noch als Unschuldslamm darzustellen und Kontrollgremien zu umgehen, das ist schon eine Tollkühnheit.

STANDARD: Die große Koalition in Deutschland hat eine neue Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Telekommunikationsdaten sollen wieder gespeichert werden, aber nicht so lange wie es schon einmal der Fall war. Ist das die Lösung?

Von Notz: Nein, ganz gewiss nicht. Denn es geht nicht darum, ob man Daten zehn Jahre oder zehn Wochen speichert, sondern darum, ob man dem Staat erlaubt, die Daten unschuldiger Bürgerinnen und Bürger sehr umfassend zu sammeln, weil man sie eines Tages gegen sie verwenden können will. Das ist eine rechtsdogmatische Grundsatzfrage. Ich glaube, wenn man nicht auf eine völlig falsche rechtsstaatliche Schiene kommen will, dann darf es diese präventiven Datensammlungen gegen alle nicht geben.

STANDARD: Befürworter der Vorratsdatenspeicherung argumentieren, dass mehr Verbrechen aufgeklärt werden könnten. Und dass "unschuldige" Bürger ja nichts verbergen müssen.

Von Notz: Ich teile diese Ansicht ausdrücklich nicht. Jeder Bürger hat das Recht, sein Privatleben vor dem Staat zu verbergen. Der Staat hat sich da rauszuhalten. Meine E-Mails, Tagebücher und Fotos gehen ihn einfach nichts an. Nur in totalitären Regimen kann der Staat alles sehen. Und wenn man dieser Logik folgt, dann gibt es ja gar kein Halten mehr, und der Mensch wird völlig gläsern. Denken Sie an Kühlschränke, die selber Milch nachbestellen oder Rollläden, die man aus dem Urlaub hoch- und runterfahren lassen kann. Technisch ist das alles möglich. Aber wenn man dem Staat erlaubt, all diese Vorgänge zu speichern, dann landen wir in einer Totalität, die man rechtlich nicht mehr verdauen kann. (Birgit Baumann, 27.6.2015)