Hallucigenia sparsa in voller Pracht.

Illustration: Danielle Dufault

Ein 15 Millimeter langes Fossil von Hallucigenia: Kein Wunder, dass Paläontologen lange Zeit rätselten, wo vorne und hinten, oben und unten waren.

Foto: Martin R. Smith

Cambridge – Wie der Name Hallucigenia schon andeutet: Als Paläontologen um den britischen Kambrium-Experten Simon Conway Morris dieses Tier 1977 erstmals beschrieben, dachten sie, sie sähen nicht recht. Sie hatten es mit den über 500 Millionen Jahre alten Fossilien eines Tiers zu tun, das wie ein Wurm mit Beinen und langen Stacheln aussah.

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Gefunden wurden Exemplare des ein bis fünf Zentimeter langen Tiers im kanadischen Burgess-Schiefer, der wichtigsten Fundstätte für Fossilien aus dem Kambrium. Und wie viele andere seiner Zeitgenossen gab auch Hallucigenia lange Zeit Rätsel auf: Zu welcher Tiergruppe es gehört haben mag – aber auch, wie sein Körperbau genau aussah.

Zunächst war Hallucigenia falsch herum rekonstruiert worden, weil man die Stacheln für Beine und die eigentlichen Beine für Tentakel auf dem Rücken hielt – außerdem wurde der Kopf mit dem Schwanz verwechselt. Zweifel gab es von Anfang an, aber jetzt liegen erstmals klare Beweise vor, wie man sich das ungewöhnliche Tier vorstellen muss.

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In der aktuellen Ausgabe von "Nature" berichten Forscher der Universität Cambridge, des Royal Ontario Museum und der Universität Toronto, dass sie an einem Hallucigenia-Fossil mittels Elektronenmikroskop einen bislang nicht bemerkten Ring von Zähnen und ein einfaches Augenpaar entdeckt haben – damit wäre geklärt, wo der Kopf saß. Außerdem zeigte sich, dass der Hals innen mit nadelspitzen Zähnen besetzt war.

Was ursprünglich für den Kopf gehalten wurde, erwies sich als gar kein direkter Körperfortsatz: Der Abdruck eines vermeintlichen kugelförmigen Anhängsels war den Forschern zufolge nur der Fleck, den das Tier hinterließ, als es zerquetscht und sein Körperinneres herausgedrückt wurde. Hallucigenia starb, als es bei einer Schlammlawine am Meeresboden verschüttet wurde.

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Auch Hallucigenias Platz im Stammbaum der Tiere kennt man mittlerweile: Es war offenbar einer der Urahnen der Stummelfüßer, den nächsten Verwandten der viel größeren und bekannteren Gruppe der Gliederfüßer (Insekten, Spinnentiere, Krebse und Tausendfüßer). Die nur in den Tropen und einigen Regionen der Südhalbkugel vorkommenden Stummelfüßer ähneln Würmern oder Schnecken mit kurzen Beinchen und haben anders als Gliederfüßer keinen Panzer.

Die heutigen Stummelfüßer haben offenbar einige Körpermerkmale, die ihre Vorfahren noch aufwiesen, zurückgebildet – etwa die Zähne. Die Forscher, die Hallucigenia untersuchten, äußerten sich überrascht, wie komplex der immerhin eine halbe Milliarde Jahre alte Organismus war. (jdo, 26.6. 2015)