Nach der langen Nacht in Brüssel wird den sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Italien und Österreich nachgesagt, sie hätten sich für die griechischen Kompromissvorschläge stark gemacht. Werner Faymann hat damit jene Linie beibehalten, die er vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in Athen verfolgt hat.
Ob das auch Regierungslinie ist, weiß keiner. Denn angesichts des Flüchtlingskonflikts ist die griechische Frage in den Hintergrund getreten. Mit zwei Positionierungen: Faymann vertritt eher keynesianische Linien, Finanzminister Hans Jörg Schelling ganz andere – er spielt auf Hayek. Und gibt in seinen Stellungnahmen den Assistenten des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble.
Weshalb man heute die Frage stellen sollte, wie sich am Samstag, wenn die Finanzminister in Brüssel endgültig entscheiden wollen, Österreich verhält.
Würde sich Schelling so verhalten wie die Regierung bei der Steuerreform, müsste er die griechische Position vertreten – keine Steuererhöhungen für die sozial schwächeren Schichten, Belastungen für den reichen Teil des Landes via Unternehmensbesteuerung. Genau das aber will vor allem der Internationale Währungsfonds nicht.
Wahrscheinlich wird die Koalition gar keine Position vorgeben. Werner Faymann ist als Kanzler doppelt geschwächt: institutionell, weil er keine Richtlinienkompetenz gegenüber Schelling hat, politisch, weil er nach seinem erneuten Auftritt als "Redakteur" der "Kronen Zeitung" auch eine lahme Ente ist. Reinhold Mitterlehner hält sich zurück.
Schelling wiederum, der vor allem in den deutschen TV-Kanälen (ntv, phoenix) als Hardliner gehypt wird und sich hypen lässt, ist sich seiner europäischen Verantwortung möglicherweise nicht völlig bewusst. Er kann sich im Falle eines tragischen Ausgangs des griechischen Dramas als Held des Neoliberalismus feiern lassen, als Verfechter des Sozialpartner-Staates Österreich aber sicher nicht. Denn der hätte sein Selbstverständnis den "Institutionen" unterworfen. (Gerfried Sperl, 26.6.2015)