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Martin Fischer: "Man zerpflückt nicht jede Niederlage oder jeden Erfolg bis ins letzte Detail."

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Der größte Tag des Vorarlbergers: 2010 bezwang er ...

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... im entscheidenden Daviscupspiel den Israeli Harel Levy. Österreich stieg dadurch in die Weltgruppe auf.

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Wien / Dornbirn – Nach mehr als zehn Jahren als Tennisprofi geht Martin Fischer neue Wege, am Mittwochabend verkündete der 28-jährige Vorarlberger seinen Rücktritt. Fischer hat die Zusage der Universität Liechtenstein und wird im September mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Vaduz beginnen. Bevor er das Studentenleben angeht, blickt er noch auf seine Jahre im Leistungssport zurück.

STANDARD: Sie beenden ihre Karriere als Nummer 379 der Welt. Welche Träume standen am Anfang?

Fischer: Als Bub habe ich zu Hause in Wolfurt einen improvisierten Rasenplatz aufgebaut. Mit Freunden und meinen Cousins haben wir Wimbledon nachgespielt. Damals gingen mir drei Ziele durch den Kopf: bei den Grand-Slam-Turnieren spielen, im Daviscup für Österreich antreten und in die Top 100 einziehen.

STANDARD: Am Einzug in die Top 100 sind Sie als Nummer 117 knapp gescheitert. Was hat gefehlt?

Fischer: Die Top 100 sind die magische Marke, der Knackpunkt, jeder Spieler will dorthin. Aber irgendwann helfen einem ein paar gute Ergebnisse auf Challenger-Ebene auch nicht mehr weiter. Dann braucht man die großen Turniere. Und dafür braucht es wiederum mehr als nur Vorhand und Rückhand. Woran es letztlich gehapert hat, ist schwer zu sagen.

STANDARD: Es mag wohl auch an der Dichte starker Spieler liegen.

Fischer: Ich habe noch in dieser Saison auf kleineren Turnieren in Ägypten gespielt. Die Gegner standen in der Weltrangliste zwischen Position 500 und 1000. Wenn man sieht, wie die Tennis spielen können, weiß man, dass es sich um eine Weltsportart handelt.

STANDARD: Böse Frage: Ist Verlieren Gewohnheitssache?

Fischer: Nein, man ärgert sich immer. Man will sich nicht ans Verlieren gewöhnen. Aber Fakt ist: Am Ende der Woche steht immer eine Niederlage, es sei denn, ich habe das Turnier gewonnen. Und wenn das passiert, muss ich ohnehin eine Stufe höher gehen. Also muss ich mit Niederlagen leben lernen, ich muss mit ihnen umgehen können.

STANDARD: Wie lange beschäftigt man sich mit einer Niederlage?

Fischer: Man zerpflückt nicht jede Niederlage oder jeden Erfolg bis ins letzte Detail. Das Ziel, in der Weltrangliste aufzusteigen, steht über allem. Man hat es vor Augen, es geht immer weiter, man kommt dabei gar nicht zum Überlegen. Und das ist auch besser so, sonst würde man die Motivation für das Training verlieren.

STANDARD: 2008 haben Sie in der Wiener Stadthalle zwei Mal im Tiebreak gegen den späteren US-Open-Sieger Juan Martin del Potro verloren. Kiefelt man an so einer knappen Sache länger?

Fischer: Ich bin in der Umkleide gesessen, habe lange überlegt. Es stand an der Kippe. Man findet dann zehn Situationen, die man anders hätte lösen können. Aber zu viel Hätti-Wäri bringt einen nicht weiter. Es gibt Tage, da war der andere schlicht besser, dann ist es einfacher.

STANDARD: Im Daviscup 2010 haben Sie Österreich mit einem Sieg gegen Israel in die Weltgruppe gehievt. Ihre Erinnerungen?

Fischer: Emotional sicher der Höhepunkt meiner Karriere. Ich bin unter ganz schlechten Vorzeichen angereist, war nicht in Form, musste dann zunächst auch Andreas Haider-Maurer den Vortritt lassen. Mit dem Sieg ist eine große Last von mir abgefallen. Es war ein Wellenbad der Gefühle, Tränen der Erlösung. Das wird mir immer in Erinnerung bleiben.

STANDARD: Wäre im Sog dieses Erfolgs nicht mehr drinnen gewesen?

Fischer: Das sollte man annehmen. Jürgen Melzer meinte, wenn ich mit so einer Drucksituation umgehen könne, wäre das Erreichen der Top 100 auch nur noch eine Frage der Zeit. Man wurde auf mich aufmerksam. Alles super, total lässig. Aber ich war nicht mehr der unbekümmerte Junge, der seinen Weg an die Spitze sucht. Ich habe Zeit gebraucht, um wieder in die Spur zu finden.

STANDARD: Ist der Wunsch, so einen Moment wie damals im Daviscup noch einmal zu durchleben, nicht mehr vorhanden?

Fischer: Doch. Aber ich weiß auch, welche Vorarbeit dafür abverlangt wird und diese Motivation bringe ich nicht mehr auf. Es war eine schöne Zeit und jetzt ist der Schnitt erfolgt. Es ist vorbei.

STANDARD: Es scheint, als würde Ihnen das Loslassen nach 15 Jahren im Tennissport gar nicht schwer fallen.

Fischer: Für viele kommt der Rücktritt überraschender als für mich. Meine Entscheidung reift ja schon seit Saisonstart. Als ich jetzt aber die Presseaussendung verschickt habe, musste ich doch etwas durchschnaufen. Ich bin nicht sonderlich sentimental, aber es ist natürlich eine Veränderung.

STANDARD: Was gab letztendlich den Ausschlag?

Fischer: Ich war die vergangenen zwei Jahre solo auf der Tour unterwegs, das bedeutet eine Menge Aufwand. Man muss die Reisen, das Training, alles im Alleingang organisieren. Es ist auf Dauer kräftezehrend. Am Anfang dieses Jahres bin ich vor der Entscheidung gestanden, ob ich noch einmal alles auf eine Karte setzen möchte, ob ich noch einmal neue Impulse setze.

STANDARD: Ist es auch eine wirtschaftliche Entscheidung?

Fischer: Ich ziehe nicht die Reißleine, weil ich finanziell keinen Ausweg mehr sehe. Ich hätte mir schon noch zugetraut, ein paar Jahre zwischen Position 200 und 300 zu spielen. Das ist ganz nett, man kann davon leben, es erfordert aber sehr viel Disziplin. Eine Sportkarriere dauert nicht ewig. Ob es mit 28 oder 35 vorbei ist, sei jedem selbst überlassen, es gibt aber eine Zeit danach. Aussorgen können mit dem Sport die wenigsten.

STANDARD: Und wenn Geld keine Rolle spielen würde?

Fischer: Dann hätte ich mich anders aufgestellt. Aber ein Trainer und ein Physiotherapeut wollen auch Geld verdienen. Zudem fallen bei Begleitung doppelte Spesen an. Ich spiele mit meiner Position aber keine Grand-Slam-Turniere, also gibt es keine fixen Einnahmen. Bei mir ist mit Preisgeld nicht zu planen, also muss ich auch Liga spielen. Das hilft mir wiederum beim Ranking nicht weiter – es ist ein Jonglieren.

STANDARD: Wurde es ohne Begleitperson nicht ganz schön einsam auf der Tour?

Fischer: Ich habe meine Planung immer mit Freunden auf der Tour abgesprochen. Es war ein gutes Umfeld, das hilft. Man pusht sich, man geht gemeinsam Abendessen. Man lenkt sich ab, um sich nicht im Wettkampf und den Ergebnissen zu verrennen.

STANDARD: Jetzt kommt das BWL-Studium in Liechtenstein. Welche Erfahrungen können Sie aus dem Sport einbringen?

Fischer: Ich habe als Tennisspieler ein kleines Unternehmen geführt: Wo kommt das Geld her, wie gebe ich es aus, wann investiere ich? Da draußen in der Arena ist man allein, da hilft einem keiner. Man muss auf sich vertrauen, man wird reifer. Ich habe die Top 100 verpasst, aber ich habe die Welt bereist, Kulturen kennengelernt. Jetzt wird es Zeit, sich neu aufzustellen. Ich möchte nicht vom Tennis oder von den Beziehungen, die ich mir im Sport aufgebaut habe, abhängig sein. (Philip Bauer, 25.6.2015)