Palästinenserpräsident Mahmud Abbas leitet eine Sitzung des PLO-Exekutivkomitees über die Zukunft der Regierung mit der Hamas.

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Ramallah/Wien – Eine Woche, nachdem die Agenturen die Auflösung der palästinensischen Regierung innerhalb der nächsten 24 Stunden gemeldet haben, sieht es in Ramallah nach institutionellem Chaos aus. Premier Rami Hamdallah reichte tatsächlich den Rücktritt ein und wurde mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt: Wie diese aussehen soll, mit oder ohne Hamas oder vielleicht unter Einbeziehung anderer Fraktionen, war bis Mittwoch unklar. Der Regierungspartner Hamas wurde von der Entscheidung Präsident Mahmud Abbas' jedenfalls völlig überrascht, zwischen Ramallah und Gaza fliegen die Anschuldigungen hin und her.

Als Begründung für ihre bevorstehende Auflösung hatte Abbas angeführt, dass es der Regierung nie gelungen sei, die Arbeit im Gazastreifen aufzunehmen. Das vor einem Jahr gebildete Technokratenkabinett – das heißt, die Hamas war Regierungsmitglied, stellte aber keine Minister, weshalb die USA nicht mit Ramallah brachen – hat tatsächlich wenig von dem geschafft, was es sich vorgenommen hatte. Vor allem hat die Regierung nicht, so wie angekündigt, die seit Jahren überfälligen Wahlen auf allen Ebenen auf den Weg gebracht.

Fast skurril mutet an, dass Abbas' derzeitiger Zorn auf die Hamas durch angebliche Gespräche zwischen Israel und der Hamas über einen langfristigen Waffenstillstand ausgelöst wurde. Kurz nach der Angelobung der Einheitsregierung vor einem Jahr folgte der Gazakrieg, zu dem vor wenigen Tagen ein Uno-Bericht erschien, der beiden Seiten mögliche Kriegsverbrechen anlastet. Am Mittwoch verlautete, dass Außenminister Riad al-Maliki – also muss die alte Regierung zumindest mit der Fortführung der Geschäfte betraut worden sein – am Donnerstag in Den Haag beim Internationalen Strafgerichtshof belastendes Material gegen Israel hinterlegen will.

Angst vor Machtverlust

Die damalige "Versöhnung" zwischen den Palästinenserfraktionen Fatah und Hamas, die seit 2007 getrennt das Westjordanland respektive den Gazastreifen kontrollieren, wurde wenig überraschend nie mit Leben erfüllt. Die Hamas hielt die Fatah weiter aus dem Gazastreifen heraus, aus Angst vor einer Korrosion ihrer Macht und Kontrolle, die sie ohnehin schon mit noch radikaleren Gruppen teilen muss.

Für die Menschen im Gazastreifen hieß das, dass die nach dem Krieg im Juli und August 2014 umso dringender gebrauchte Hilfe und Normalisierung nie kamen. Der Wiederaufbau ist auch weit hinter dem Plan, die Hamas hat immer wieder mit finanziellen Schwierigkeiten bei der Bezahlung ihrer Beamten zu kämpfen.

Durch den Wechsel an der Spitze des saudischen Königshauses hat die Hamas gleichzeitig eine Chance, etwas aus der Isolation herauszukommen, in die sie nach dem Sturz der Muslimbrüder – ihrer Mutterpartei – in Ägypten im Sommer 2013 gestürzt ist. Auch Kairo, das von saudischer Hilfe abhängig ist, zeigt sich nicht mehr so Hamas-feindlich wie zuvor. Deshalb nehmen Beobachter die Gerüchte über eine Kontaktaufnahme zwischen Israel und der Hamas durchaus ernst.

Abbas, der mit der Auflösung der palästinensischen Autonomiebehörde droht, befindet sich in einer schwierigen Lage. Davon, dass er sowohl im Konflikt mit der Hamas als auch mit Israel viele Sympathien auf seiner Seite hat – für den Zusammenbruch der Friedensverhandlungen im Vorjahr haben auch die USA Israel mehr Schuld zugewiesen als den Palästinensern –, hat er nichts.

Französische Initiative

Eine französische Initiative für eine Uno-Sicherheitsratsresolution, die die Parameter für eine palästinensische Staatsgründung enthalten soll, stagniert. Wenn Abbas nun tatsächlich weiter den Weg durch die Uno-Institutionen geht – vor allem, wenn er sich an den Strafgerichtshof wendet –, verärgert er die USA, die er trotz allem braucht.

Im Westjordanland steigt die Gewaltbereitschaft. Auch die US-Regierung warnt davor, dass der Status quo nicht ewig aufrechterhalten werden kann. Die Aussichten auf sinnvolle Friedensverhandlungen sind denkbar gering. In der Autonomiebehörde wächst die Nervosität. Am Dienstag wurden Konten des ehemaligen unabhängigen Premiers Salam Fayyad gesperrt, wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten seiner NGO "Future for Palestine". Wie "Haaretz" schreibt, soll der Grund sein, dass Fayyad von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird – die auch den Hauptrivalen Abbas', Mohammed Dahlan, fördern, dem Ambitionen auf dessen Nachfolge nachgesagt werden. (Gudrun Harrer, 25.6.2015)