Brüssel/Moskau – Die NATO will ihre schnelle Eingreiftruppe wegen der Spannungen mit Russland massiv aufstocken. Die Einheit solle von 13.000 auf bis zu 40.000 Soldaten anwachsen, kündigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Auftakt eines zweitägigen Treffens der Verteidigungsminister des Bündnisses am Mittwoch in Brüssel an.

Er mahnte die Verbündeten, auch ihre Wehretats als Reaktion auf die neue Sicherheitslage zu steigern. "Wir werden uns nicht in ein Wettrüsten treiben lassen, aber wir müssen unsere Länder schützen", sagte er. Auf "aggressive Handlungen" Russlands müsse die Allianz aber reagieren. Heuer werden wohl nur fünf der 28 NATO-Mitglieder das beim Gipfel in Wales bekräftigte Ziel erreichen, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung auszugeben.

"Aggressives Vorgehen"

"Es ist nicht defensiv, einen Teil eines Landes zu annektieren, sondern ein aggressives Vorgehen", sagte Stoltenberg mit Blick auf den Fall der ukrainischen Halbinsel Krim. Zudem warf er Russland vor, weiterhin "Truppen und Ausrüstung zur Destabilisierung der Ostukraine" zu schicken. "Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Russland für aggressive Handlungen in Europa verantwortlich ist", sagte Stoltenberg.

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rechnet trotz der neuen militärischen Drohgebärden nicht mit einem Rückfall in den Kalten Krieg. Damals seien sich zwei Blöcke gegenübergestanden, heute sei die Welt durch die Globalisierung völlig verändert, sagte sie. "Wir sind rund um die Welt vernetzt, wir sind ökonomisch miteinander so verflochten, dass es eine Rückkehr zum Kalten Krieg nicht geben kann und nicht geben darf." Trotz aller Konflikte sei allen Beteiligten bewusst, dass es Probleme wie die Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) gebe, bei denen alle zusammenstehen müssten.

Den Kern der Eingreiftruppe namens NATO Response Force (NRF) bildet die 5.000 bis 7.000 Soldaten starke Speerspitze, die derzeit von Deutschland geführt wird und im Falle einer Krise im Osten zuerst zum Einsatz käme. Außerdem zählen dazu die Truppen, die sich auf die Übernahme der jährlich rotierenden Speerspitze vorbereiten sowie die, die diese Aufgabe gerade hinter sich haben – also zusammen noch einmal 10.000 bis 14.000 Soldaten. Damit stehen der NRF drei Brigaden Landstreitkräfte zur Verfügung. Bei dem Treffen in Brüssel sollen ihnen Einheiten von Marine, Luftwaffe und Spezialkräften sowie weitere Kontingente auf freiwilliger Basis an die Seite gestellt werden.

"Wir werden den Entscheidungsprozess beschleunigen, aber die politische Kontrolle (über die Truppe) beibehalten", versicherte Stoltenberg. Er sprach damit ein Manko der NRF an: Sie wurde in der Vergangenheit nie eingesetzt, weil es stets am gemeinsamen politischen Willen mangelte.

US-Verteidigungsminister Ash Carter hatte zuvor angekündigt, sein Land werde schwere Waffen und andere militärische Ausrüstung in den baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien und Polen stationieren. Dies soll die Partner an der Ostflanke der NATO beruhigen, die Übergriffe nach dem Vorbild des russischen Vorgehens in der Ukraine befürchten. Nach Angaben des US-Militärs geht es unter anderem um rund 250 Kampfpanzer, Schützenpanzer und Panzerhaubitzen. Russland lehnt die Stationierung schwerer US-Waffen so nah an seiner Grenze vehement ab.

Die russische Armee will Militärbasen in Polen und Rumänien als mögliche Ziele ins Visier nehmen, sollten sich die beiden NATO-Länder am Raketenabwehrsystem der USA beteiligen. Teile einer Raketenabwehr, die auf Russlands strategische nukleare Kräfte zielten, seien ein Problem und würden automatisch zum Ziel, sagte der Vizechef des Sicherheitsrats, Jewgeni Lukjanow, Mittwoch laut Agentur Interfax. Polen und Rumänien sollten darüber nachdenken, ob sie sich am Schild beteiligen. "Falls es ihnen gefällt, wegen eines US-amerikanischen Waffensystems ein Ziel zu sein, ist das ihre Entscheidung", meinte Lukjanow. Einen solchen Konflikt könne aber niemand gewinnen.

Die USA argumentieren, das lange geplante Projekt solle vor möglichen Angriffen aus dem Nahen und Mittleren Osten schützen. Russland sieht den geplanten Schild als Gefahr für seine Sicherheit. Erst vor kurzem hatte ein russischer Diplomat einer dänischen Zeitung gesagt, dass die Atommacht ihre Nuklearsprengköpfe auf jeden in Europa richten könne, der Teile der US-Raketenabwehr stationiert. Dies hatte im Westen Empörung ausgelöst. Von der Leyen äußerte sich besorgt zur geplanten Aufstockung des russischen Atomwaffen-Arsenals. "Damit befassen sich im Augenblick die NATO-Gremien", sagte sie. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte in der vergangenen Woche die Anschaffung 40 zusätzlicher Interkontinentalraketen für das Nuklear-Arsenal angekündigt. (APA/Reuters, 24.6.2015)