Nach Einschätzung von Jürgen Michels kommt die griechische Regierung ihren Gläubigern nach langem Zögern entgegen: "Die Kuh wehrt sich nicht mehr, um vom Eis zu kommen, aber sie steht noch auf glattem Untergrund", so der Chefvolkswirt der BayernLB.

Wie viele Regierungsvertreter und Bankenexperten zeigt er sich nach dem ergebnislosen Eurosondergipfel optimistisch, auch wenn man von einer stabilen Lösung noch deutlich entfernt sei. Die Staats- und Regierungschefs haben ihren Finanzministern den Auftrag erteilt, Mittwoch auf Basis des neuesten griechischen Reformvorschlages eine Lösung zu finden. Die Experten aller Seiten beraten rund um die Uhr, basteln an einer Gesamtrechnung. Wie dem Standard am Dienstag aus Verhandlerkreisen bestätigt wurde, sieht das Szenario für eine "erneuerte" Griechenlandrettung so aus: Wenn auf Expertenebene alles gutgeht, wenn der IWF in dem gemeinsamen Gutachten der Troika feststellt, dass mit allen griechischen Maßnahmen eine Schuldentragfähigkeit gegeben ist, dann wird die "Kuh" in der Nacht auf Freitag von den Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel mit einem großen Heuballen gelockt.

Basis soll ein Vorschlag der Finanzminister der Eurogruppe sein. Montag und Dienstag darauf spätestens soll die Kuh dann endgültig vom Eis geholt werden. Dann müssen der Deutsche Bundestag und andere nationale Parlamente der Eurozone – vor allem aber das griechische – einer Kompromisslösung zustimmen.

Passiert das nicht, geht das Land rasch in die Insolvenz. Gelingt es, wäre der Weg frei für das, was man in Eurogruppe und Kommission eine "Verlängerung" der Griechenlandhilfe um mehrere Monate nennt, ohne dass das Paket materiell verändert würde.

Zwei Dinge wären wichtig: Es darf kein neues Geld fließen, keine frischen Kredite. Für die am 30. Juni fällige Rückzahlung von 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) muss eine Zwischenlösung gefunden werden. Aber wenn es eine Einigung auf höchster politischer Ebene gibt, dann wäre der Weg frei für die Zentralbank (EZB). Sie könnte der griechischen Regierung die fälligen Rückzahlungen von 6,5 Milliarden Euro im Juli und August "umschulden", ohne dass die Eurostaaten belastet würden.

Damit wäre mindestens ein halbes Jahr Zeit gewonnen, in dem Ministerpräsident Alexis Tsipras zeigen kann, dass er versprochene Reformen umsetzt. (Thomas Mayer aus Brüssel, 24.6.2015)