Wien – "Ich habe mich manchmal vor den Drogenabhängigen versteckt", gesteht Elisabeth U. gegenüber Richterin Petra Poschalko. "Die wollten stundenlang über die Medikamentendosis diskutieren, das ist wirklich anstrengend", erklärt die pensionierte Hausärztin. Gleichzeitig beteuert sie, dass sie keinesfalls, wie angeklagt, wahllos Rezepte an diese Zielgruppe ausgestellt und die Gebietskrankenkasse damit geschädigt habe.

Mit U. angeklagt ist der nicht mit ihr verwandte Augusto U., der zwar den Turnus schon absolviert hatte, aber nicht approbiert war. Er arbeitete in der Praxis als Ordinationsgehilfe. "Ich wollte, dass er was lernt, er hat ja in meinem Beisein auch Patienten abgehört", sagt die Erstangeklagte.

Teilweise stellte er auch Rezepte für Stammkunden aus. "Es ist natürlich lästig, wenn er mir alle paar Minuten Rezepte vorlegt", begründet die 60-jährige Frau U. das. "Aber die Ärztin war immer noch ich."

Drogenabhängige Zeugen

Dass sie überhaupt nicht mehr in ihrer Praxis war und Herr U. alles alleine machte, wie Zeugen behaupten? "Das ist lächerlich." – "Warum gibt es dann Zeugen?", fragt Poschalko. "Das sind Drogenabhängige!", empört sich die Ärztin. "Und was für eine Motivation sollten die haben?" – "Die denken sich gar nichts", vermutet die Angeklagte.

Die Füße, auf denen die Anklage steht, sind allerdings nicht einmal tönern, sondern aus Wachs. Denn tatsächlich wurde von zahllosen angeklagten Fakten nur bei einem Patienten die zulässige Zahl der Tablettenpackungen deutlich überschritten.

Anklagebehörde und Gebietskrankenkasse haben aber einfach alle Rezepte, auf denen mehr als die empfohlene Dosis stand, in den Akt genommen. Nur: Schon zuvor hatte ein Sachverständiger des Magistrats bescheinigt, dass höhere Dosen medizinisch durchaus vertretbar sind, wenn sie der Patient benötigt.

Keine Behandlungsunterlagen mehr

Für den betroffenen Patienten gibt es allerdings keine Behandlungsunterlagen mehr. Richterin Poschalko fällt noch etwas anderes auf: Für das Ausstellen von Rezepten selbst bekommt die Ärztin gar kein Geld.

"Wem zahlen Sie die Medikamente dann eigentlich?", fragt sie die Privatbeteiligtenvertreterin der Gebietskrankenkasse. Den Apotheken, erfährt man, Ärzte bekommen ohnehin eine Quartalspauschale pro Patienten, nur spezielle Leistungen werden extra verrechnet.

"Und wo ist Ihnen dann der Schaden entstanden?", wundert sich Poschalko. Denn sie hat recherchiert: Strafrechtlich dürfen auch Ordinationshilfen statt des Arztes oder der Ärztin allgemeine Leistungen erbringen – Betrug ist das keiner, da die Kasse ja auch zahlen müsste, wenn es der Praxisinhaber selbst gemacht hätte.

Anklägerin fordert Freispruch

Da man nicht mehr feststellen kann, ob der einzige Patient, der mehr als die zulässige Zahl an Medikamentenpackungen verordnet bekam, diese nicht doch benötigte, fordert selbst die Staatsanwältin – die die Anklage nicht verfasst hat – einen Freispruch im Zweifel.

Den bekommt sie, das Urteil ist rechtskräftig. Gerichte werden sich mit dem Fall wohl dennoch weiter beschäftigen müssen: Aus Sicht der Verteidigung schuldet die Kasse Frau U. noch 30.000 Euro, da die Leistungen aus dem ersten Halbjahr 2013 nicht gezahlt wurden. (Michael Möseneder, 23.6.2015)