Wieder nichts: Die Eurozone konnte wenig mit den neuen Athener Reformvorschlägen anfangen. Eine Einigung wird nun gegen Ende der Woche angepeilt. Die Differenzen sind aber nicht nur Folge unterschiedlicher Standpunkte, sondern auch verschiedener Zugänge einzelner Strippenzieher. Kommission, Euroländer und Währungsfonds ziehen nicht immer an einem Strang:

Juncker | François Hollande | Angela Merkel | Christine Lagarde | Alexis Tsipras | Mario Draghi

Der Sisyphos von Brüssel
Ein Kommissionschef darf nie, nie, nie aufgeben

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Jean-Claude Juncker war (neben Belgiens Premier Charles Michel) wohl der Einzige unter den EU-Spitzen, dem die Herabstufung des Sondertreffens zu Griechenland zum "Plaudergipfel" wenig ausmachte. Er hat nur ein paar Minuten zu Fuß, um vis-à-vis ins Ratsgebäude in Brüssel zu gehen, wo die Europäischen Räte stattfinden. Ratschef Donald Tusk musste sich Vorwürfe anhören, wozu er sie einberufen hat, wenn nichts vorliege. Machtmenschen können unangenehm werden, wenn sie sich "gepflanzt" sehen, umsonst anreisen. Auch Juncker, der 19 Jahre lang luxemburgischer Premier war, bevor er 2014 in den Chefsessel der Kommission wechselte. Keiner kennt all die Machtspielchen so gut wie er.

Meistens ist er aber ein vielsprachiger ironisch-humorvoller Gesprächspartner, selten zornig. Der Boss der wichtigsten Gemeinschaftsinstitution darf nie, nie, nie aufgeben, muss danach trachten, dass die Nationalstaaten am Ende zusammenfinden – auch in schier aussichtslosen Fällen wie Griechenland seit 2010. Deshalb nimmt sich der Christdemokrat in fast liebevoller Weise des Linksradikalen Alexis Tsipras an. Er herzt ihn öffentlich, tätschelt ihn, sagt, wo immer es geht, dass ein Grexit vollkommen ausgeschlossen ist. Wie Sisyphos im Mythos wälzt er den Stein immer wieder auf den Berg, auch wenn die Regierung in Athen mit ihm Katz und Maus spielt – etwa wenn sie am Abend verspricht, was am Morgen nicht mehr gilt. Juncker macht weiter. Denn scheitert Europa, dann wäre auch er als einer der Architekten des Euro persönlich gescheitert. (tom)

Jean-Claude Juncker | Hollande | Angela Merkel | Christine Lagarde | Alexis Tsipras | Mario Draghi

Der Linke im Nacken
Hollandes Spagat zwischen Berlin und Athen

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François Hollande schiebt sich bei den Verhandlungen mit Alexis Tsipras nicht in den Vordergrund. Er hat ein anderes Mittel, um Einfluss zu nehmen: Angela Merkel. Die Franzosen wissen, dass die deutsche Kanzlerin zuverlässige Rückendeckung braucht. Hollande bietet sie ihr über die deutsch-französische Achse. Jede Wortmeldung von Regierungssprechern in Berlin und Paris ist abgesprochen. Es soll nicht der Eindruck entstehen, die beiden Schwergewichte zögen in Sachen Griechenland nicht am gleichen Strick.

Als Kompensation verlangt Hollande von Berlin, dass es seinen Diskurs "anpasst". Das von deutschen Politikern verbreitete Grexit-Szenario kommt für Hollande nicht infrage. Der französische Staatschef meinte am Montag, er glaube an eine "dauerhafte Einigung". Sein Finanzminister Michel Sapin lobte die "Qualitätsarbeit" der griechischen Regierung. Sie schuldet Frankreich rund 43 Milliarden Euro. Das seien mehr als 600 Euro pro Bürger, moniert die französische Rechtsopposition. Bei einem Grexit wäre dieses Geld wohl verloren.

Hollande hat aber noch einen weiteren Grund, trotz aller rhetorischen Härte, nachsichtig zu sein. Der Linksflügel seiner Sozialistischen Partei ist auf der Seite Griechenlands und lehnt jeden Austeritätskurs ab. Links von der Parti Socialiste wettern Jean-Luc Mélenchon und Kommunistenchef Laurent noch vehementer gegen die "deutschen" Positionen. Sie vertreten potenzielle Hollande-Wähler bei den Präsidentschaftswahlen 2017 in Frankreich. (brä)

Jean-Claude Juncker | François Hollande | Merkel | Christine Lagarde | Alexis Tsipras | Mario Draghi

Den Bundestag im Nacken
Merkel zwischen Härte und Verständnis

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Den Montagabend hätte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auch gemütlicher verbringen können. Eigentlich wäre sie der Stargast auf der Feier zum 70. Geburtstag von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel in Wien gewesen. Aber dann kam der Sondergipfel in Brüssel dazwischen.

Dass sie nicht wirklich Lust hatte, dort hinzufahren, war ersichtlich – und zwar nicht nur wegen der verpatzten Geburtstagssause samt Sachertorte in Wien. Merkel hatte in den vergangenen Tagen, als die Zeit immer knapper und knapper wurde, stets betont, sie könne bei einem etwaigen Gipfel eigentlich gar nichts ausrichten. Denn die Akteure in dem Drama seien ja Griechenland und die drei Institutionen (Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds, Europäische Kommission).

Aber natürlich wusste sie, dass alle Augen auch auf sie blicken – auf die mächtigste Frau der EU. Das Schauspiel, das sich in den vergangenen Wochen auf den internationalen Bühnen bot, machte auch ihr zu schaffen. Merkel war die ganze Zeit über zwischen Härte und Verständnis hin- und hergerissen.

"Scheitert der Euro, dann scheitert Europa", das ist seit Jahren ihr Mantra. Nachdem sie, als vor Jahren die Krise in Griechenland ausbrach, zunächst erklärte hatte, man werde keinen Cent geben, schwenkte sie um und rang sich nebst Finanzhilfen auch Verständnis für die Bevölkerung ab, die von den Einschnitten hart getroffen worden war.

Doch andererseits fuhr Merkel mit der Sorge zum Gipfel, dass Griechenland nur der erste Dominostein in der europäischen Reihe sein könnte, wenn man den Forderungen aus Athen einfach nachgeben würde.

Und sie hatte die ganze Zeit über den Bundestag im Nacken sitzen. Im Februar, als das deutsche Parlament die Verlängerung des zweiten Griechenlandpakets absegnete, war die Zahl derer bei CDU/CSU, die sich dagegen aussprachen, noch überschaubar: 29 von 311.

Doch mehr als einhundert, die mit Ja gestimmt hatten, gaben eine "persönliche Erklärung" ab. Tenor: Diesmal helfen wir noch. Aber wenn es die Griechen nicht ernst meinen mit dem Konsolidieren, dann gibt es von der Gemeinschaft, also auch den Deutschen, kein Geld mehr. (bau)

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Lagarde will nicht zusehen
IWF-Chefin für aktive Rolle des Fonds in Europa

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Wenn es nach ihr allein geht, bestünde wohl kein Zweifel: IWF-Chefin Christine Lagarde gilt als eine starke Verfechterin der vielen Noteinsätze des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Europa. Ob nun in Griechenland oder in der Ukraine, Lagarde will, dass der IWF in der Antikrisenpolitik aus der ersten Reihe heraus mitgestaltet und mitbestimmt, erzählen Diplomaten in Washington.

Doch die Interessen der IWF-Mitgliedsländer sind da nicht immer deckungsgleich mit jenen der Chefin. Russland, Indien und Brasilien haben immer wieder Kritik an dem hohen Engagement des Fonds in Europa geübt. Die Kredite an die Griechen (aktuell ausständig sind knapp unter 30 Milliarden Euro) finanzieren schließlich die übrigen IWF-Staaten. Dass nun im Juni Griechenland die Rückzahlung von mehreren Milliarden Euro an den IWF gestundet hat, dürfte den internen Druck auf Lagarde weiter erhöhen.

Schließlich haben Währungsfonds-Ökonomen schon im Jahr 2010 einen Schuldenschnitt für Griechenland gefordert. Auch seither haben IWF-Vertreter, zuletzt auch Chefökonom Olivier Blanchard, deutlich gemacht, dass sie nicht nur von Athen weitere Reformen und Einsparungen verlangen. Sie plädieren auch für einen weiteren Schuldenschnitt durch die Euroländer. Dies würde Griechenland einerseits helfen, aus der Krise rauszukommen. Andererseits wäre damit auch gesichert, dass der Fonds sein ganzes verliehenes Geld an Athen mitsamt Zinsen zurückbekommt. (szi)

Jean-Claude Juncker | François Hollande | Angela Merkel | Christine Lagarde | Tsipras | Mario Draghi

Kämpfen im Konsens
Alexis Tsipras führt Partei und Verhandlungen

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Morgens um fünf, kurz vor dem Aufwachen, hat man vielleicht solche wilden Träume: Alexis Tsipras geht nach Brüssel und spielt mit seinem Land Kasino. Das Links-außen-Irrlicht, vor ein paar Wahlen noch bei 5,04 Prozent, verhandelt über Euro und Staatsbankrott. Es sind die dramatischsten Tage im Leben des 40-jährigen Berufspolitikers, keine Frage, und Griechenland hat sich ihm anvertraut in Ermangelung besserer Alternativen: 58 Prozent halten die Verhandlungslinie von Tsipras und seiner Regierung gegenüber den Kreditgebern für richtig, meldete ein Meinungsforschungsinstitut. Nicht schlecht in einer Wahldemokratie. Aber nie genug für das, was auf dem Spiel steht.

Alexis Tsipras ist der Jüngste in diesem Stück über Macht, Geld und Staaten. Er ist kein Wahlmatador wie François Hollande, kein Global Player wie Christine Lagarde, kein Krisensitzungsveteran wie Jean-Claude Juncker, zumindest nicht in Brüssel. Wie Europa und seine Institutionen funktionieren, hat er erst in den vergangenen fünf Monaten gelernt. Knapp so lange ist er auch Regierungschef. Aber Tsipras ist unverbraucht.

Als die Entscheidung heranrückte, der Montag des Euro-Krisengipfels, hält er es in Athen nicht mehr aus. Noch am Sonntagabend fliegt Tsipras nach Brüssel, 24 Stunden vor dem Gipfel. Sein Team mailte in der Aufregung eine falsche Liste mit Reformvorschlägen an die Eurogruppe und an Juncker, so heißt es. Tsipras aber drängt auf Gespräche, er will nicht warten. Am Montagmorgen schon beginnen die ersten Runden mit Juncker und Jeroen Dijsselbloem, dem Antigriechen. Der kühl berechnende Niederländer hat Tsipras' Finanzminister und Freund Yanis Varoufakis in der Eurogruppe abserviert. Tsipras hat daraufhin das griechische Verhandlungsteam neu aufgestellt, aber Varoufakis weiter auf der Bühne gelassen. Ein Haufen weltfremder Dilettanten? Der Vorwurf prallt an Tsipras ab. Einschüchtern lässt er sich nicht.

Wenn Varoufakis mit polemischen Bemerkungen und halbgaren Reformlisten die EU-Geister vor den Kopf stößt, meldet sich bald darauf Tsipras zu Wort und besänftigt wieder. Auch in der Kakofonie der "Koalition der radikalen Linken", wie Syriza ausgeschrieben heißt, versucht Tsipras zu beruhigen. Seine innerparteilichen Gegengewichte hat er mit großen Ministerposten versorgt. Panayiotis Lafazanis hat Energie, Umwelt und "Wiederaufbau" erhalten; Panos Skourletis ein enormes Sozialministerium, Dimitris Stratoulis ein Ressort für "soziale Sicherheit". Jeder darf reden, alles wird ausdiskutiert in Fraktionssitzungen unter der Woche, die zehn Stunden dauern, wenn es sein soll. Noch funktioniert das Konsenssystem Tsipras. Aber Tsipras' Mehrheit in der Partei ist beschränkt.

Vom Ende der Sparmemoranden und der "Befreiung" des griechischen Volks vom Joch der Kreditgeber redete Tsipras in den letzten Wochen weniger. Mag sein, dass er politisch ein weiteres Stück in die Mitte gerückt ist wie schon nach dem ersten großen Sieg bei den Parlamentswahlen 2012. Doch vergessen hat Tsipras seine Rhetorik des linken Aufrührers keineswegs. "Kriminell" nannte er dieser Tage den Internationalen Währungsfonds. Es war eine Geste an Zoe Konstantopoulou, die Parlamentspräsidentin und potenzielle Rivalin, die einen Zwischenbericht ihrer "Wahrheitskommission" zur griechischen Schuldenkrise präsentierte. Die Schulden sind alle illegal, heißt es dort. (mab, 23.6.2015)

Jean-Claude Juncker | François Hollande | Angela Merkel | Christine Lagarde | Alexis Tsipras | Draghi

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EZB hält alle Asse in der Hand, will aber nicht selbst ausspielen

150 Milliarden investiert: EZB-Chef Mario Draghi

Die Europäische Zentralbank (EZB) steckt, was Griechenland anbelangt, in einem Dilemma fest. Man kann ihre Rolle mit jener eines Pokerspielers vergleichen: Die Notenbanker in Frankfurt halten alle wichtigen Karten in ihrer Hand, um den Schuldenstreit mit Athen zu entscheiden. Doch sie wollen nicht selbst festlegen, wann sie was ausspielen. Das sollen die Politiker in Berlin, Paris und Brüssel tun.

Die EZB hat bisher mehr als jede andere Institution investiert, um Griechenland im Euro zu halten. Laut der Deutschen Bank summieren sich die Darlehen des Eurosystems an Griechenland auf 150 Milliarden Euro. Der größte Teil davon entfällt auf Kredite an griechischen Banken. Dazu kommen 27 Milliarden Euro an hellenischen Staatsanleihen im EZB-Portfolio.

Diese gewaltige Summe macht die EZB zu einem entscheidenden Spieler im Schuldenpoker. Würde die Zentralbank zusätzliche griechische Staatsanleihen erwerben, könnte sie den Druck von Athen nehmen. Stoppt sie dagegen ihre Nothilfen an griechische Banken, wäre dies der Grundstein für den Grexit. Doch EZB-Chef Mario Draghi will, dass die Politik entscheidet, wie es weitergeht. Das hat mehrere Gründe.

Zum einen muss die Notenbank aufpassen, dass sie sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnt. In den EU-Verträgen ist festgelegt, dass die EZB primär für die Wahrung der Preisstabilität zuständig ist. Wirtschaftspolitik darf sie nicht machen. Draghis Vorgänger, Jean-Claude Trichet, hat diese Einschränkung wenig beachtet. Trichet hat mehreren Staaten (Irland, Italien) mit dem Entzug von Unterstützung gedroht, wenn bestimmte Reformen (Liberalisierung, Bankenrekapitalisierung) nicht umgesetzt werden. Demgegenüber hat Draghi der EZB in der Griechenland-Debatte Zurückhaltung auferlegt. Er will den Eindruck der Parteilichkeit vermeiden.

Klar ist aber auch, dass Draghi nicht weitere Milliarden an Athen überweisen will, ohne dass es ein politisches Rahmenabkommen gibt, das sicherstellt, dass die EZB diese Gelder wieder zurückbekommt. Auch an einem Grexit will Draghi nicht schuld sein, weil dies den Ruf der Euro-Zentralbank beschädigen könnte. (szi)