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St. Petersburg: Das historische Stadtbild ist mit seinen Palästen, Kirchen und Kanälen eines der schönsten der Welt, die Museen sind einzigartig. Die Stadt ist entspannter als das größere, hektische Moskau.

Foto: picturedesk.com/Astapkovich Vladimir

Kurz nach ein Uhr früh klappen in St. Peterburg die Brücken über die Newa hoch, die nördlichen Stadtteile mit der Peter-und-Paul-Festung, wo die Stadt vor 312 Jahren gegründet wurde, sind vom Zentrum aus einige Stunden nicht mehr erreichbar. Dafür zieht ein Konvoi großer und kleiner Schiffe über den Fluss, den Peter der Große einst als wichtigste Verkehrsader seiner neuen Hauptstadt gesehen hatte.

Der Anblick der hochgeklappten Brücken ist der Höhepunkt einer dreistündigen nächtlichen Fahrradtour, die während der Weißen Nächte im Juni und Juli vom jungen Touranbieter Peter’s Walk geführt wird. Die nördlichste Millionenstadt der Welt wird in diesen Tagen nie ganz dunkel, die Abend- geht fast nahtlos in die Morgendämmerung über.

Günstiger als früher

Die einmal offenen, einmal geschlossenen Brücken sind auch Sinnbild für eine Stadt, die einst gegründet wurde, um Russland zum Westen hinzuführen, aber mit Wladimir Putin auch jenen Mann hervorgebracht hat, der derzeit das Gegenteil betreibt. Und es gibt viele gute Gründe, gerade jetzt nach St. Petersburg zu reisen: Dank des Rubelverfalls ist Russland viel günstiger als früher, dennoch kommen derzeit weniger Touristen als sonst. Das historische Stadtbild ist mit seinen Palästen, Kirchen und Kanälen eines der schönsten der Welt, die Museen sind einzigartig. Die Stadt ist entspannter als das größere, hektische Moskau. Für ein Russland-Visum benötigt man zwar eine offizielle Einladung eines Reiseveranstalters, doch für Individualreisende erledigen das kleine Agenturen um wenig Geld und buchen günstige Hotels.

Vor allem aber gewinnt der Besucher auch bei einem kurzen Aufenthalt dieser Tage ein Gefühl dafür, warum sich viele Russen so schwer mit der Welt und mit sich selbst tun. Der Newski-Prospekt, St. Petersburgs berühmte Hauptgeschäftsstraße, ist ein Spiegelbild der westlichen Konsumkultur. Aber wer in einer Bank Geld wechseln will, fühlt sich in Sowjetzeiten zurückversetzt: Umständlich werden Pass und Visum kopiert und Formulare ausgefüllt.

Eine U-Bahn-Fahrt um umgerechnet 50 Cent ist gleichzeitig eine Tour durch die verschiedenen unterirdischen Kathedralen des stalinistischen Barocks, wo neben Hammer und Sichel die McDonald’s-Werbung hängt. Beim Stadtspaziergang von Peter’s Walk zeigt uns die junge Reiseführerin hinter den herausgeputzten Fassaden der Zinshäuser auch die vergammelten Hinterhöfe. Über Politik will sie nicht reden, sagt sie gleich, und macht doch deutlich, wie sehr sie unter der geistig-politischen Repression leidet.

Politik im Bernsteinzimmer

Die deutschsprachige Führerin hingegen, die uns in den Katharinenpalast südlich der Stadt begleitet, wartet nur darauf, über uns dumme Westeuropäer zu schimpfen, die nicht begreifen, dass sie in der Ukraine ein "Naziregime" unterstützen und von den USA ferngelenkt werden. Für die Besichtigung des Ballsaals Katharina der Großen und des mit deutscher Hilfe wiedergeschaffenen Bernsteinzimmers zahlt sich eine geführte Tour aus. Zum Peterhof, der prachtvollen Palastanlage an der Ostsee mit seinen Springbrunnen und Wasserkaskaden, kommt man gut allein. Per Tragflügelboot ist man in einer halben Stunde vor Ort, die Massen verteilen sich fast spurlos im riesigen Park.

Der Besuch der Bildersammlung in der Eremitage ist unverzichtbar, wobei der Kauf eines teuren Onlinetickets dem Besucher lange Warteschlangen erspart. Im Inneren des Winterpalastes strömen hunderte von Besuchergruppen, zumeist von Kreuzfahrtschiffen, durch die historischen Räume und stauen sich vor den Leonardo- und Rubens-Bildern. Zum Glück wurde die wunderbare Impressionistensammlung vor kurzem in ein anderes Gebäude ausgelagert, wo sich kaum Reisegruppen hinverirren.

Nationalistischer, religiöser und ideologischer

Besonders aufschlussreich ist der Besuch des Russischen Museums, das Kunst vom Mittelalter bis heute zeigt. Eines wird in seinen endlosen Ausstellungshallen klar: Mit einer kurzen Ausnahme zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Kandinsky, Malewitsch und andere Vertreter der russischen Avantgarde die Moderne mitschufen, war Russlands Kunst immer anders als die des Westens: nationalistischer, religiöser und ideologischer. Hier beginnt man auch, Putin und Co besser zu verstehen. (Eric Frey, 23.6.2015)