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Proteste vor dem Parlament in Athen gegen die Sparpolitik der EU und für die griechische Regierung.

Reuters/YANNIS BEHRAKIS

Athen / Berlin / Frankfurt am Main – Vor dem Krisengipfel am heutigen Montag in Brüssel bemüht sich der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras in zahlreichen Gesprächen um Verständnis für die Vorschläge seines Landes im Schuldenstreit. Ein Vertreter der EU-Kommission bestätigte inzwischen den Erhalt der Vorschlagsliste. In mehreren europäischen Städten, auch in Griechenlands Hauptstadt, demonstrierten tausende Menschen zur Unterstützung Athens.

In Telefonaten mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatspräsident François Hollande und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erläuterte Tsipras laut Angaben aus Athen vom Sonntag seine Vorschläge für eine "endgültige Lösung" in der Krise. Am heutigen Montag will der griechische Ministerpräsident in Brüssel mit Vertretern der Gläubiger-Institutionen sprechen.

Staatsminister Alekos Flambouraris hatte zuvor von Zugeständnissen an die Geldgeber gesprochen. Ob Tsipras auf die Forderungen der Gläubiger zu weiteren Spar- und Reformmaßnahmen einging, blieb aber bisher offen. Athen erklärte lediglich, die Vorschläge zielten auf eine "Vereinbarung zum gegenseitigen Nutzen" ab.

Neue Vorschläge eine "gute Grundlage"

Die EU-Kommission bezeichnete die neuen Vorschläge aus Griechenland zur Beilegung des Schuldenstreits als "gute Grundlage". Die Liste sei bei der Kommission sowie beim Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) eingegangen, bestätigte Junckers Kabinettschef, Martin Selmayr, in der Nacht auf Montag über den Kurznachrichtendienst Twitter.

EU-Diplomatenangaben zufolge will Tsipras am Montagvormittag den EU-Kommissionschef treffen, mit dem er am Wochenende mehrmals telefoniert habe. Wie aus Regierungskreisen in Athen verlautete, will er zudem EU-Ratspräsident Donald Tusk treffen und an einer von diesem einberufenen Sitzung der Gläubiger-Insitutionen teilnehmen. An der Sitzung würden Tusk, Juncker und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem teilnehmen sowie EZB-Chef Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde.

Krisentreffen in Brüssel

In Brüssel kommen Montagmittag die Euro-Finanzminister, am Abend dann die Staats- und Regierungschefs zusammen. Ohne Fortschritte droht Griechenland Ende Juni der Staatsbankrott, was zum Euro-Ausstieg führen könnte.

Giorgos Chondros von der griechischen Regierungspartei Syriza machte am Sonntag in der ORF-Sendung "Im Zentrum" vor allem die Sparvorgaben der Geldgeber Griechenlands für die Verschlechterung der Schuldensituation verantwortlich. "Griechenland hat zwischen 2010 und 2014 alle Verträge eingehalten, auch bis heute. Bis heute hat Griechenland alle Tranchen pünktlich und in vollem Ausmaß zurückbezahlt", sagte Chondros. Die "Therapie" der Gläubiger habe jedoch dazu geführt, dass die Staatsverschuldung von 120 auf 180 Prozent des BIP gestiegen sei, weil die Wirtschaftsleistung dramatisch gesunken sei.

Der griechische Staatsminister Nikos Pappas benannte in der Sonntagszeitung "Ethnos" die roten Linien seiner Regierung: "Wiederherstellung des Arbeitsrechts, keine Senkung von Gehältern und Pensionen, ein strategischer und vollständiger Plan für das Schuldenproblem" – also eine Umstrukturierung. Flambouraris deutete gleichwohl die Bereitschaft an, die Frühpensionierung einzuschränken und die Unternehmensbesteuerung zu reformieren.

Juncker für Reform der Eurozone

Juncker wirbt unterdessen für eine Reform der Eurozone mit einem starken Eurogruppenchef. In einem Bericht, der beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag diskutiert werden soll, schlägt Juncker vor, der Eurogruppe – dem Zusammenschluss der Finanzminister der Eurozone – mehr Gewicht innerhalb der Währungsunion zu geben.

Der Bericht wird mitgetragen von EU-Ratspräsident Tusk, Eurogruppenchef Dijsselbloem, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Draghi, sowie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Die fünf EU-Vertreter plädieren dafür, den Finanzministern einen höheren Stellenwert innerhalb der Eurozone zu geben und dem Vorsitzenden der Eurogruppe schon kurzfristig mehr Kompetenzen einzuräumen.

Langfristig, zwischen 2017 und 2025, solle die Eurogruppe einen "Vollzeitpräsidenten mit einem klaren Mandat" erhalten, heißt es in dem Bericht. Juncker, der von 2005 bis 2013 selbst Chef der Eurogruppe war, schlägt demnach auch ein "europäisches Finanzministerium" vor, um die Haushaltspolitik der Euro-Mitgliedstaaten besser zu koordinieren.

Demonstrationen in Athen

In Athen demonstrierten am Sonntag laut Polizei mindestens 7.000 Menschen vor dem Parlament, um der linksgeführten Regierung ihre Unterstützung auszusprechen und gegen weitere Einsparungen zu protestieren. Die Menschen sangen, schwenkten griechische Flaggen und Transparente mit Aufschriften wie "Nein zum Euro", "Das Volk lässt sich nicht erpressen" und "Das Land steht nicht zum Ausverkauf". "Sie wollen uns demütigen", sagte der 65-jährige frühere Lehrer Yiota Kananakari an die Adresse der Gläubiger. "Warum bestehen sie sonst auf all die Maßnahmen? Wir werden das nicht länger hinnehmen." In mehreren europäischen Städten gab es Solidaritätskundgebungen, darunter in Brüssel, wo rund 3.500 Menschen auf die Straße gingen.

EU-Parlamentspräsident Schulz rief Tsipras dazu auf, eine Lösung für die Schuldenkrise zu ermöglichen. Jener trage "vor allem Verantwortung für das gesamte griechische Volk", sagte er der "Rheinischen Post" (Montagausgabe).

Bei Zahlungsunfähigkeit könnte Athens Austritt aus der Eurozone auslösen. Wegen anhaltender Unsicherheit heben immer mehr Griechen ihr Geld von den Banken ab. Insidern zufolge sollen die griechischen Institute allein in der vergangenen Woche etwa 4,2 Milliarden Euro verloren haben. Wegen der hohen Kontoabflüsse war sich die EZB Insidern zufolge zuletzt nicht sicher, ob die griechischen Institute am Montag ihre Schalter öffnen können. Der EZB-Rat stockte deshalb am Freitag die Notfallhilfen (ELA) für die Banken erneut auf, zudem kommt sie am Montag zu einer Sondersitzung zusammen, um sich erneut mit einer möglichen Erweiterung der Kreditrahmen für griechische Banken zu befassen. (APA, 22.6.2015)