Der Euro ist das gemeinsame Geld von rund 370 Millionen Einwohnern in 19 von insgesamt 28 EU-Staaten. Er ist nicht einfach nur ein Zahlungsmittel wie jedes andere in Europa auch. In einer tiefer reichenden Ebene ist der Euro noch viel mehr – politisch wie symbolisch.

Mit dem Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion, das auf Pläne aus den 1960er-Jahren zurückgeht und im Jahrzehnt darauf von den deutsch-französischen Staatsmännern Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing weiter vorangetrieben wurde, ist das Ziel der politischen Union verbunden. Kanzler und Staatspräsident der ehemaligen Erbfeinde hatten klar vor Augen, dass die in Einzelschritten immer weiter voranschreitende Integration der Länder am besten die Aussöhnung und den Frieden sichert.

Griechenland war damals noch nicht Mitglied der Gemeinschaft. Wie Spanien und Portugal war es gerade erst seine Militärdiktatur losgeworden. Aber die drei Länder, die heute als Eurostaaten so große wirtschaftliche Probleme haben, waren schon EU-Mitglieder, als nach dem Fall des Kommunismus 1989 und der deutschen Wiedervereinigung 1990 mit dem Eurobeschluss beim Gipfel in Maastricht ein Riesenschritt hin zur Europäischen Union vollzogen wurde.

In einem Jahrhundertereignis war es gelungen, die "deutsche Frage" gemeinschaftlich friedlich aufzulösen. Aber auch die ärmeren Staaten im Süden sollten voll eingebunden und entwickelt werden, auch wenn manche – wie Griechenland – die geforderten Kriterien nur auf dem Papier erfüllten.

Aber: Mitglied der Währungsunion zu sein, das war das große Ziel all dieser Staaten. Und es sollte "unwiderruflich" gelten. Auch das steht in den EU-Verträgen, die alle Regierungen unterzeichnet und alle Parlamente ratifiziert haben. Diese Zusammenhänge sollte man im Auge haben, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone am Montag (wieder einmal) bei einem Sondergipfel zu Griechenland treffen. Zur Debatte steht nicht einfach nur eine wirtschaftliche Entscheidung. Auf dem Tisch liegt eine mögliche Kehrtwende, die der Entwicklung der Union insgesamt eine neue Richtung geben könnte. Denn eines ist völlig klar: Mit dem Scheitern einer Lösung und dem folgenden Staatsbankrott Griechenlands stünde nicht nur dessen Verbleib im Euro, sondern letztlich auch in der EU zur Disposition. Darüber wird (öffentlich) kaum geredet. Aber es ist schwer denkbar, dass die EU-Partner weiter großzügig Milliardensummen aus dem EU-Budget nach Athen überweisen, wenn die Regierung des Landes sich weigerte, seine Verpflichtungen zu erfüllen – ein EU-Ausschlussgrund.

Dass sich in der Folge die Eurozone auflöst – das Drohszenario des griechischen Premiers Alexis Tsipras –, ist kaum anzunehmen. Die Eurostaaten sind gut vorbereitet, auch auf riesige Verluste bei einem Ausfall Griechenlands.

Wahrscheinlicher ist sogar, dass die Eurostaaten dann noch enger zusammenrücken, sich rasch strengere gemeinsame Regeln geben als bisher geplant. Der Zerfall eines Landes würde den übrigen Eurostaaten eine ständige Warnung sein, nicht gegen die Partner zu marschieren, von denen man abhängig ist.

Aber so weit ist es noch nicht. Vieles deutet darauf hin, dass die Regierungschefs Athen noch einmal eine Verlängerung der Hilfen gewähren, außer Tsipras macht auf Totalverweigerung. Bei Entscheidungen von solcher Tragweite spielt die deutsche Kanzlerin gerne auf Zeit. (Thomas Mayer, 20.6.2015)