Wenn, wie Michael Häupl einmal formulierte, Wahl-kämpfe "Zeiten fokussierten Unsinns" sind, dann sind die Tage nach der Wahl Zeiten ausufernden Ratschlagens. Als Beobachter fällt einem dabei der erschreckend niedrige Grad politischer Alphabetisierung der Mitglieder der quasselnden Klasse auf. Gäbe es einen Pisa-Test über Basiskompetenzen in Sachen Politik, gehörte Österreich garantiert nicht zu den Siegern.

Es beginnt bei der Berufung auf den Wählerwillen, der am Wahlabend für alles, was Sieger und Verlierer wollen, herbeizitiert wird – so als würden wir Wähler unseren ersten Willen beim Notar hinterlegen, wo er dann auf wunderliche Weise zu einem einzigen Willen zusammenwächst.

Es geht weiter mit den zahl- losen Auftritten jener Deuter, die als Politikexperten, Kommunikationsstrategen, Meinungsforschern, und wie sie sich sonst noch nennen lassen mögen, die Diskussionsrunden und Meinungskolumnen okkupieren, um dem interessierten Publikum ihre höchst private Meinung als tiefe Einsicht aufzunötigen. Charakteristisch für die Mitglieder dieser Gruppe sind deren geringe berufliche Qualifikation und ihr hohes Interesse, auf sich selbst aufmerksam zu machen, um weitere Auftritte oder besser noch exklusive Beraterverträge an Land zu ziehen. Was immer die Mitglieder dieser durch keinerlei Qualitätskontrolle gebremsten Gruppe von sich geben, niemand ist in der Lage, es zu überprüfen, da deren Umfragen und andere Erhebungen nie dem Licht kritischer Öffentlichkeit ausgesetzt werden.

Die dritte Gruppe Ratschlagender sind besorgte Vertreter der moralischen Integrität des politischen Gemeinwesens, die den politischen Betrieb wie einen Schönheitswettbewerb betrachten, bei dem es allerdings nicht um das wohlproportionierte Verhältnis von Oberweite, Taille und Hüfte, sondern um (große) Grundwerte, (schmale) Versprechen und (breite) Parteitagsbeschlüsse geht.

Fast schon herzerwärmend schließt sich der Kreis mit Abschiedsinterviews mit jenen, die künftig nicht mehr mitspielen (dürfen) und auf die Frage, worauf sie denn stolz seien, antworten: "gestaltet haben zu dürfen".

Grob vereinfacht gibt es zwei Formen von Gestalten. In Versammlungen von Volksvertretern beschließt eine Mehrheit Regeln, die das Zusammenleben ändern. Das reicht vom Rauchverbot oder einer neu textierten Zeile einer Hymne bis zu Registrierkassen und Entsendung von Solda- ten in Krisengebiete. Gewöhnliche Staatsbürger sind davon teils mehr, teils weniger betroffen oder erfreut. Philosophen und andere Deuter des Zoon politikon haben dazu manch Kluges geschrieben. Heutzutage herrscht ein recht breiter Konsens, dass das Mehrheitsprinzip eine praktikable Spielregel ist. Da auf Sicht nirgendwo mehr absolute Mehrheiten einer Partei erlauben, die Regeln allein zu bestimmen, bedarf es der Koalitions- und damit der Kompromissbildung. Den Moralischen Unternehmern unter den Ratschlagenden stößt das auf, als wäre es das Werk des Höllenfürsten. Es scheint, dass diese Ratschlagenden lieber nix geändert sehen wollen, als dass etwas mit den Falschen gemeinsam beschlossen würde.

Die andere Form des Gestaltens ist Verteilen. Sie ist in Österreich beliebter und begehrter. Ging es früher um Wohnungen, Telefonanschlüsse und Arbeitsplätze, werden heute kleinere Brötchen gebacken. Vor allem aber ist der Kreis der Nutznießer stark geschrumpft, weshalb immer weniger Leute Grund haben, sich an Wahlsonntagen dankbar zu zeigen – auf so einfache Zusammenhänge weisen die Ratschlagenden selten hin, wohl auch weil es für sie geschäftsschädigend wäre, wenn sich die politische Welt so einfach erklären ließe.

Während im Nationalrat Änderungen von Regeln (noch?) im Zentrum stehen, ist die einzige Sache, die die Landesparlamente nachhaltig beschließen, das Landesbudget. (Ja schon: Jagd, Jugendschutz und dergleichen darf man nicht vergessen.) Das Geld und andere Benefizien (Jobs in ausgelagerten Unternehmen, Aufsichtsräten etc.) verteilen die Landeshauptleute, ihre Stellvertreter und die Mitglieder der Landesregierung. Diese und ihre Mitarbeiter haben ein verständlich starkes Interesse, weiter verteilen, äh: gestalten zu dürfen, und schließen daher wenn nötig Koalitionen mit dem Leibhaftigen. Oder sie ziehen das Spielen mit den Enkerln dem eigenen Mitwirken am Gestalten vor und retten so den Genossen einen Teil des davonschwimmenden Verteilungsbudgets.

Wenn das nicht ganz falsch ist, dann bleibt zu fragen, was es für die Ratschlagenden bedeutet? Die "strategischen Masterminds", die "Spirit & Support" zur Geschäftsgrundlage haben, benötigen monopolierbare Kompetenzen (zumindest deren Anschein) und werden nicht müde, davon zu reden, dass alles eine Frage des Kommunizierens sei. Das könnten sie lehren und stetig verbessern.

Die moralischen Unternehmer interpretieren lieber weiter ihre Fata-Morgana-Gemeinschaften, statt sich auch nur einmal in die Niederungen der Volksbildung zu begeben und mit jenen zu streiten, deren Wahlentscheidungen sie wortgewaltig zu Inkarnationen des Allerbösesten aufbauschen, das ihnen in ihrer Schreibtischwelt je untergekommen ist.

Den geschäftsmäßigen Ratschlagenden geht es um weitere Aufträge, empörten Diskursakrobaten um Applaus und der immer kleiner werden Gruppe der Aktiven in den früheren Großparteien um die Erhaltung ihrer eigenen Jobs. Die verqueren Auskünfte der gewöhnlichen Leute darüber, was sie veranlasst hat, das Kreuzerl nicht mehr in den ersten beiden Zeilen des Wahlzettels zu machen, dienen bloß als Schmiermittel des Gequassels der Ratschlagenden. Um es zu ändern, müsste man ja wirklich mit denen reden. (Christian Fleck, 19.6.2015)