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Wolfgang Schüssel, ein Säulenheiliger der ÖVP: der Mann, der das Kanzleramt eroberte und die FPÖ entzaubern wollte. Am Montag feiert ihn die Partei mit einem Fest, es soll ein "Abend mit Freunden" werden.

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In der Regierung war nicht immer klar, wer eigentlich am Steuer saß: Jörg Haider oder Wolfgang Schüssel.

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Wien – Vom Widerstand der Zivilgesellschaft wurde Schwarz-Blau bei der zweiten Angelobung nicht mehr belästigt. Am 28. Februar, es war ein Freitag, spazierten Wolfgang Schüssel und sein Team unbehelligt über den Ballhausplatz. Der Kanzler schritt aus, er genoss es. Die Polizei hatte ein "Platzverbot" erlassen, die Demonstranten wurden in den Rathauspark verbannt.

Viele waren es nicht. 250 vielleicht, sie skandierten "Wi-der-stand". Ihnen gegenüber standen 100 Sympathisanten der ÖVP, sie riefen "Wolfgang, Wolfgang" und hielten Schilder in die Höhe: "Kurs halten". Bundespräsident Thomas Klestil kam bei der Angelobung kein Lächeln aus.

Am Zenit der Macht

Wolfgang Schüssel war am Zenit seiner Macht angekommen. Drei Jahre zuvor hatten ihn aufgebrachte Demonstranten unter die Erde gezwungen: Die Regierung musste am 4. Februar 2000 durch einen Verbindungsgang zwischen Bundeskanzleramt und Hofburg zur Angelobung gehen.

Diesmal war alles anders, Schüssel ein überirdischer Kanzler. Bei der Wahl im November 2002 hatte er die ÖVP zur stärksten Partei gemacht, zum ersten Mal seit 32 Jahren. Noch nie zuvor in der Geschichte der Zweiten Republik hatte ein Politiker bei Nationalratswahlen so viel dazugewonnen, mehr als 15 Prozentpunkte. Die ÖVP lag bei 42,3 Prozent. (Nur zum Vergleich das Ergebnis von 2013, elf Jahre später: 24 Prozent.)

Um jeden Preis

Schüssels Koalitionspartner, die FPÖ, war zertrümmert: nur noch zehn Prozent. Fast 17 Prozenpunkte weniger als 1999. Schüssel hatte die Freiheitlichen nicht nur gebändigt, er hatte sie aufgerieben. 600.000 der 1,2 Millionen FPÖ-Wähler von 1999 wählten Schwarz. Und Herbert Haupt, zu diesem Zeitpunkt Parteiobmann der FPÖ, war bereit weiterzumachen, um jeden Preis.

Der Tabubruch, mit Jörg Haider eine Regierung zu paktieren, hatte sich für Schüssel gelohnt. Jetzt fuhr er die Ernte ein. Die Freiheitlichen erhielten im Kabinett Schüssel II den Vizekanzler und nur noch zwei Minister (vorerst waren das Hubert Gorbach und Dieter Böhmdorfer). Karl-Heinz Grasser wurde Finanzminister – auf einem Ticket der ÖVP. Er war des Kanzlers wichtigster Mann in der Regierung.

In der ÖVP wurde (und wird) Schüssel regelrecht verehrt.

Entschlossenheit, Reformen anzugehen

Als Kanzler zeigte er Führungsstärke und die Entschlossenheit, Reformen anzugehen. Neben einer Steuersenkung leitete Schüssel eine großangelegte Pensionsreform ein, die auf breiten Widerstand stieß. Im Mai und Juni 2003 kam es zu den größten Streiks in der Nachkriegsgeschichte. Schüssel schien es zu genießen. Je stärker der Widerstand, umso unbeirrter hielt er an seinen Plänen fest: "Wir haben Hochbetrieb auf der Modernisierungsbaustelle."

Manche Vorhaben, wie etwa die Privatisierung der Voest im Jahr 2003, stießen auch in der eigenen Partei auf Widerstand. Schüssel gestand ein: "Manche unterstellen mir, ich sei gefühllos. Ich bin vielleicht manchmal zu entschlossen, ich will das gar nicht leugnen, aber eine gute Regierung muss Themen setzen."

Und Schüssel setzte Themen.

Mutige Pensionsreform, umstrittene Privatisierung

Die Pensionsreform von 2003 (eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit und eine Kürzung der Pensionen) war mutig. Die Privatisierungspolitik war umstritten, der Wirtschaftsstandort wurde gefestigt. Die Opposition beklagte eine "Politik des Stillstands" und kritisierte den Sozialabbau auf neoliberalem Kurs.

Eine zentrale Rolle dabei spielte Grasser, der Schüssel 2002 dabei geholfen hat, die Wahl zu gewinnen, und 2006 dazu beigetragen hat, die Wahl zu verlieren.

Die SPÖ hatte den jungen Finanzminister, der in seiner besten Zeit als charismatischer Macher geschätzt wurde, zu ihrem Feindbild auserkoren und ihn rhetorisch sturmreif geschossen. Schlussendlich steht Grasser sinnbildlich für das schwarz-blau-orange Elend, für die Verfilzung, die Überheblichkeit und die Freunderlwirtschaft der Schüssel-Haider-Jahre.

Der größte Grasser-Fan

Schüssel schätzte Grasser – und er mochte ihn. In einem Interview mit der Kleinen Zeitung, als er sich 2007 aus dem Kanzleramt verabschieden musste, schwärmte Schüssel von Grasser: "Er hat eine gewisse Leichtigkeit, Humor, ein breites Lächeln. Einer, der in der Lage ist, das Leben nicht nur als eine Abfolge von Krawattenbinden bis Haarkämmen zu begreifen, sondern als lustvolles Miteinanderleben. Er ist ein ausgesprochen erfreulicher Mensch."

Ob es Absicht war, eine taktische Meisterleistung oder auch nur eine zufällige Abfolge von Ereignissen, Schüssel hatte die FPÖ in die Knie gezwungen.

Er war der Drachenbändiger. Die wesentlichen Schritte hatte die FPÖ allerdings selbst gesetzt, als sie 2002 in Knittelfeld gegen die Regierungsspitze putschte oder als Jörg Haider 2005 das BZÖ gründete.

Ringen um Distanz zu Haider

Es war auch Schüssels Ringen um Distanz zu Jörg Haider, das ihm die Bezeichnung "Schweigekanzler" einbrachte.

Schüssel weigerte sich beharrlich, die ständigen Zurufe aus Kärnten zu kommentieren. "Ich muss nicht zu jedem Gegacker etwas sagen", rechtfertigte er sich später.

Das Wort "Schweigekanzler" sei jedenfalls widerlegt: "Man muss nur nachrechnen, wer in den sieben Jahren am meisten geredet hat. Es war ein gewisser Wolfgang Schüssel."

Tatsächlich wird ihm das Wort Schweigekanzler nicht gerecht. Richtig ist, dass Schüssel Journalisten nicht besonders mochte. Er arbeitete mit ihnen, wo er musste, er konnte ruppig sein, sein Geduldsfaden war kurz. Lästiges Nachfragen nervte ihn. Schüssel biederte sich nicht an, und er schätzte es nicht, wenn man sich anbiederte.

Frühstücksaffäre

Seine mediale Zurückhaltung dürfte auch mit der "Amsterdamer Frühstücksaffäre" zu tun haben: 1997 hat Schüssel in einer kleinen Runde von Journalisten den Deutsche-Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmayer als "richtige Sau" bezeichnet, worüber mehrere Medien, darunter auch DER STANDARD, berichteten. Das ist ein Aspekt seines gestörten Verhältnisses zu Journalisten. Ein anderer war sein Umgang mit dem Boulevard, der durchaus einer Machtprobe gleichkam: Dass sich Schüssel nicht der Kronen Zeitung beugte, verzieh ihm diese nie. Schüssel war der erste Kanzler, der darauf verzichtete, sich mit dem Boulevard zu arrangieren.

Ganz anders als der jetzige Kanzler Werner Faymann, der den umgekehrten Weg geht: Während Faymann heute praktisch nur den Boulevard bedient, schloss Schüssel diesen aus und suchte die Auseinandersetzung mit den Qualitätsmedien.

Weniger freundliche Fragen als heute

Verfügbar war er im Pressefoyer des Ministerrats – und die Fragen dort waren oft weniger freundlich, als sie es heute sind. Manche Journalisten wollten und konnten aus ihrer Erregung über Schwarz-Blau kein Hehl machen. Es gab nicht viele Journalisten, die Schwarz-Blau toll fanden. Aber noch genügend, die sich in den neuen Machtverhältnissen rasch zurechtfanden, vor allem im ORF.

In der ÖVP ist Schüssel längst ein Säulenheiliger, dessen Schwächen und Fehler langsam verschwimmen, und dessen Stärken und Siege ins Legendenhafte verklärt werden. Die Partei feiert am Montag seinen 70. Geburtstag mit einem großen Fest in der Orangerie im Schloss Schönbrunn. (Michael Völker, 20.6.2015)