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Alice (Tanja Raunig) und die Herzkönigin (Maxi Blaha) in Melk.

Foto: photo graphic art

Melk – In Dimitré Dinevs Bühnenfassung von Alice im Wunderland wird der Traum eines Kindes zum Trauma einer erwachsenen Frau. Alexander Hauer inszeniert das Auftragswerk der Sommerspiele Melk in der Donauarena.

Die Beatboxer Gerald Huber und Christian Birawsky der Gruppe Bauchklang haben alle Münder voll zu tun: Sie röhren das Auto, mit dem Alice (Tanja Raunig) und Schwester (Maxi Blaha) fast ein Kaninchen (Kajetan Dick) überrollen; sie vertonen den Unfall, der auf das Ausweichmanöver folgt; und sie ahmen die Soglaute des Sturzes ins Traumaland nach.

Während des Fallens watscht sich die offenbar schizophrene Alice selbst, ehe sie auf einem Laubhaufen landet, wo der Spuk mit ihrer Größe beginnt. Zuerst ist sie zu klein, um die Tür zu öffnen, hinter der sie den herrlichen Garten der Herzkönigin erspäht. Dann ist sie zu groß, um durchzugelangen: augenscheinlich gemacht durch das Entrollen einer Schürze vom hohen Gerüst (Kostüm: Julia Klug; Bühne: Dietrich Körner).

Die wieder kleine Alice droht in ihren Tränen (platzende Wasserballons) zu ertrinken, wird aber von einer philosophierenden Maus ("Die Metapher verbindet zwei Welten: Halte dich an ihr fest!") an Land gebracht. Das monotone Gerede über Platon und Kant lässt die nasse Alice nicht trocknen. Ein mit seinen Aussagen die Gestalt wechselnder Dodo (Dagmar Bernhard) schlägt daher ein Proporzrennen vor, bei dem es weder Start noch Ziel gibt.

Lustiges Spiel, falsch gerahmt

Es folgen die Begegnungen mit einer weisen Raupe (vier grüne, Wasserpfeife rauchende Männlein auf einer Leiter), der Grinsekatze (Giuseppe Rizzo) und der verrückten Teegesellschaft. Alice trifft auf den Herzbuben, der schneller als das Schicksal ist (Thomas Dapoz auf dem Segway), und flieht auf den Schwingen eines Greifs vor der Herzkönigin.

All diese Stationen sind anrührend und lustig, nicht zuletzt, weil man mit Tanja Raunig ein echtes Kind vor sich zu haben wähnt.

Nach der Pause aber rückt der bisherige Rahmen der Handlung in den Vordergrund: Im Zentrum steht nun das Bett, in dem die Wachkomapatientin Alice liegt. Abwechselnd treten der Vater (toll cholerisch: Christian Preuß), die Mutter (Inge Maux), der Mann (Sebastian Pass) oder ihre Schwester an das Bett. Deren Berührungen nimmt Alice im Fantasieland, wo sie eine Schachpartie mit dem Ziel spielt, zu sich selbst zu finden, in verschlüsselter Weise wahr.

Diese Einbettung bringt es mit sich, dass der Zuseher versucht ist, all die absurden Begebenheiten auf ihren psychologischen Mehrwert zu befragen. Das Großartige an Lewis Carrolls Kindergeschichte ist aber gerade der radikale Bruch mit etablierten Maßstäben von Wahrheit und Realität – wie man sie auf diese Weise erst wieder anzulegen beginnt. (Franz Schörkhuber, 19.6.2015)