Vielleicht kommt alles Gute doch noch von oben: Das Junge Theater Basel unter der Regie von Sebastian Nübling probt in der ehemaligen Sargfabrik F23 schon einmal den Aufstand.

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Wien – Es ist ein weiter Weg von Basel nach Atzgersdorf. Acht Jugendliche des Jungen Theaters Basel haben das F23 im Süden Wiens als Aufenthaltsstätte zugewiesen bekommen. Die Fabrikhalle, in der sie herumtoben, nennt sich "Zusammenbau".

Man weiß nicht gleich, was in der Performance Noise zusammengebaut wird. Eine Traube Lautsprecherkästen hängt von der Decke und versendet Lärm. Ein Bündel Smartphonekabel baumelt schlaff herunter. Ein Knabe von schmächtiger Gestalt springt, um sich ihrer zu bemächtigen. Es wirkt ein bisschen so, als wolle er einen besonders süß schmeckenden Apfel vom Baume der Erkenntnis pflücken.

Zum Ausklang ihres Schauspielprogramms setzen die Wiener Festwochen noch einmal auf die Jugend. Noise ist ein Produkt angewandter Kapitalismuskritik. In der knapp zweistündigen Aufführung gärt die Angst vor dem Stillstand. Die jungen Darsteller – Schauspieler wird man sie nicht nennen wollen – halten niemals still. Es wird viel gerannt in Noise. Die acht Aktivistinnen und Aktivisten bilden eine Schwarmintelligenz. Insofern knüpft Regisseur Sebastian Nübling, der Tutor der Produktion, an die ältesten und ehrwürdigsten Formen des Theaters an.

Gesetz der Raserei

Man steht als Zuschauer ohne Sitzgelegenheit der mopsfidelen Basler Bande manchmal im Weg. Eine Handkamera leuchtet die einzelnen Gesichter schön heraus. Immer aber herrscht das Gesetz der Raserei: Die Mitglieder der Meute können vor lauter überschießender Kraft kaum geradeaus gehen. Man fühlt sich an Erinnyen und Mänaden erinnert und denkt auch an Elias Canettis Hetzmeuten.

Die Beteiligten aber tragen sich mit den besten Absichten. Es wird nicht viel gespielt in Noise. Eher schon werden Slogans gehämmert: Macht kaputt, was euch kaputtmacht. "The kids are united, they will never be divided." Es geht auch kürzer: "Anticapitalista!" Das grundsätzliche Unbehagen an der globalen Weltordnung kippt um in Zorn. In hundert kleinen Statements wird, man ahnt es schon: dem Kapitalismus der Prozess gemacht. Auf den Prüfstand gestellt wird das Nächstliegende. Die Veränderung der Welt beginnt beim eigenen Ich. Schlecht ist, was die Lust am Leben auf die Normen der Kultur- und Bewusstseinsindustrie herunterbricht.

Unter großem "Hallo!" und "Nanu?" werden Seilzüge an der Decke befestigt. Tuchbahnen gleiten nach oben. Ab jetzt – wir befinden uns noch ziemlich am Anfang des Abends – kann man den Rabauken dank moderner Videotechnik ins Gesicht blicken. Auch sonst fällt auf: Die Revolution ist grundsätzlich machbar, Herr Nachbar! Sie verschlingt nur Millionen Gigabytes. Früher kamen die Geister aus der Flasche. Heute schlüpfen sie aus dem Smartphone. Früher zerbrach man sich den Kopf darüber, wie die Massen zu mobilisieren wären. Heute balanciert ein junger Mann auf den Schultern seiner Mitstreiter und brüllt: "Wir leben in einer Welt mannigfacher Simulation!"

Bier oder Wasser

Das könnte ein Ethiklehrer aus einer altmodischen AHS nicht gespreizter ausdrücken. Am Schluss steht man in ein Geviert aus Tuchbahnen gepfercht. Man hat Bier oder Wasser spendiert bekommen und lauscht sachdienlichen Hinweisen auf die neue "Bewegung". "Eine Masse kann sich nicht mehr bewegen. Sie ist zum Stillstand verdammt. Bewegen kann sich nur der Einzelne. Wir. Also ich." Das ist, gelinde gesagt, Quatsch. Und so steht Noise, mit seinem sympathisch dampfenden Hyperaktivismus, unter Kitschverdacht. Kein großer Abschluss. Das Publikum zollte Respekt. (Ronald Pohl, 18.6.2015)