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Eine gut besuchte Rüstungsschau in der Nähe Moskaus. Einen Rüstungswettlauf strebe Russland nicht an, sagt Politologe Andrei Zagorski.

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Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn besucht den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Kiew. Das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU wird von Russland als "unwiderrufliche Tendenz zu einer Westbindung" wahrgenommen, sagt Zagorski.

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STANDARD: Die Drohgebärden der EU und Russlands haben in den vergangenen Tagen wieder zugenommen. US-Panzer sollen an der Ostgrenze stationiert werden, im Gegenzug will Russland sein Raketenarsenal aufstocken. Wie kommt man aus diesem Teufelskreis wieder heraus?

Zagorski: Die militärischen Aktivitäten auf der russischen Seite unweit der baltischen Staaten haben zugenommen, aber auch aufseiten der Nato mit der schnellen Eingreiftruppe, die binnen Stunden in den Staaten aktiv werden kann. Sollten tatsächlich schwere Waffen im Baltikum und in Polen stationiert werden, dann wird das einen Effekt haben – auch nach der Ukraine-Krise. Deshalb sind vertrauensbildende Maßnahmen und Transparenz dringend notwendig.

STANDARD: Ist Russland denn überhaupt interessiert an einer Beruhigung der Situation?

Zagorski: Russland hat weder Interesse an einer Konfrontation noch am Rüstungswettlauf. Nicht zuletzt, weil die meisten russischen Experten auch begreifen, dass dieser Wettlauf kein gutes Ende haben wird. Russland ist keine Sowjetunion. Die Möglichkeiten sind beschränkt. Deshalb hat Russland immer Interesse gehabt, konventionelle Rüstungskontrolle und vertrauensbildende Maßnahmen zu verfolgen. Natürlich stört aber die Entwicklung in der Ukraine.

STANDARD: Wo hat der Konflikt, der uns jetzt beschäftigt, seinen Anfang genommen?

Zagorski: Man muss hier zwei Dinge unterscheiden: Die Divergenzen Russlands mit der EU bezüglich der östlichen Partnerschaft und die militärischen Entwicklungen.

STANDARD: Aber genau das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU soll ja auch mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Russland auf der Krim aktiv wurde.

Zagorski: Ja, das wurde von Moskau als unwiderrufliche Tendenz zu einer Westbindung gesehen, die die Möglichkeiten einer engeren Kooperation unmöglich machen sollte. Keiner hat damals aber wissen können, dass das in eine Krise in der Ukraine mündet und es zu einer bewaffneten Auseinandersetzung kommt.

STANDARD: Warum ist die Situation nicht schon früher eskaliert?

Zagorski: 1995 zur Nato-Osterweiterung gab es noch eine große Debatte, wo Russland seine Vorbehalte ansprechen konnte. Russland hat damals fast alles bekommen, bis auf die Festlegung der sogenannten roten Linie, die die Nato nicht überschreiten sollte.

Ganz anders lief das bei der östlichen Partnerschaft der EU. Ursprünglich war Russland eingeladen mitzuwirken, Moskau gefiel das Projekt aber von Anfang an nicht und es verzichtete auf die Kooperation. Anders als in den Jahren davor hat man wenig Rücksicht auf den Protest Russlands genommen. Moskau war aber auch nicht aktiv. Das spitzte sich erst 2013 zu, als Moskau sah, dass es jetzt auf die Verträge hinausläuft.

STANDARD: Woran stößt sich Russland so sehr, wenn ein osteuropäisches Land sich entscheidet, die wirtschaftlichen Beziehungen mit der EU zu intensivieren?

Zagorski: Wenn ich mir die Probleme ansehe, die auf der russischen Seite genannt werden, sind diese meistens technisch lösbar. Ein Beispiel: Technische Regulierungen sind Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine. Das sind naturgemäß andere als in Russland. Russland sagt dann, wenn es neue technische Normen gibt, bin ich benachteiligt beim Export meiner Produkte. Zu 100 Prozent ist das nicht machbar, aber man könnte solche Regulierungen eigentlich weitgehend über die Grenzen hinweg harmonisieren.

STANDARD: Was bedeutet das für die Zukunft?

Zagorski: Der Status Quo hat sich verändert seit 2013. Es gibt schon Assoziierungsabkommen der EU mit drei Staaten (Anm.: Ukraine, Moldawien, Georgien), obwohl manche in Russland meinen, sie könnten noch rückgängig gemacht werden. Das was jetzt realistisch erscheint, ist bei trilateralen Gesprächen anzuknüpfen und die Konsequenzen für Russland zu minimieren. Das wäre anzustreben. Eine Rückkehr zum Status Quo ante gibt es nicht. Das wäre auch nicht im Sinne Russlands, denn zum Status Quo ante gehört auch die Krim. Dann sollte Russland die Krim zurückgeben. Es ist nicht zu erwarten, dass Moskau in absehbarer Zeit bereit ist, die Krim zurückzugeben. Das bleibt eine Hypothek in unseren Beziehungen – mit rechtlichen Konsequenzen. Wir müssen hier auch einen modus vivendi vereinbaren. Ich erwarte nicht, dass die Ukraine oder andere Staaten die Zugehörigkeit der Krim zu Russland akzeptieren. Aber wir sollten darüber nicht unsere ganzen Beziehungen abbrechen.

STANDARD: Der Status quo bezüglich der Sanktionen soll zumindest für die nächsten sechs Monate aufrechterhalten bleiben ...

Zagorski: Wenn alles an die Umsetzung der Minsker Akte gebunden ist, ist der russische Standpunkt der, dass es ja Kiew ist, das seine Verpflichtungen nicht umsetzt, die eher auf dem wirtschaftlichen, politischen und humanitären Sektor liegen. Deshalb der Appell an die EU, stärker Einfluss zu nehmen, dass Kiew seine Verpflichtungen umsetzt. Das ist natürlich keine Einbahnstraße. Man muss sich verständigen, damit die bewaffneten Auseinandersetzungen zurückgehen.

STANDARD: Ist der Krieg in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg zwischen EU/USA und Russland?

Zagorski: Das wird in Moskau oft so gesehen. Für mich ist es kein Stellvertreterkrieg, obwohl natürlich ein großer Teil des Konflikts über die Ukraine hinausgeht. Es geht hier vordergründig dann um die Bedeutung der roten Linie. Die EU selbst führt außerdem keine Kriege, jedenfalls solange es keine europäische Armee gibt. Ich habe aber auch die Zurückhaltung vonseiten der Nato registriert. Es gab deutliche Signale: die Nato mischt sich in den Krieg in der Ukraine nicht ein. Das ist schon eine gewisse rote Linie, die eingehalten wird.

STANDARD: Welchen Einfluss hat die Kreml-Propaganda tatsächlich auf die Bevölkerung?

Zagorski: Die Propaganda sieht man ganz deutlich. In erster Linie in den zwei föderalen russischen Fernsehkanälen. 80 Prozent der Bevölkerung informieren sich auf diesem Weg, sie sind die wichtigste Quelle. Die zweitwichtigste Quelle sind regionale Zeitungen, die weitgehend von den örtlichen Institutionen unterstützt werden, weil sie auf Kreml-Linie bleiben. Es gibt aber auch Fernsehkanäle, die deutlich moskau-kritisch berichten. Die Frage ist eher: Wer schaltet das ein?

STANDARD: Wie wirkt sich der Konflikt sonst auf den Alltag der Russen aus?

Zagorski: Die Russen reisen jetzt weniger aus. Die Liste der sanktionierten Persönlichkeiten ist klein im Vergleich dazu, wie wenige Personen jetzt ausreisen. 15 Prozent der Russen hatten bisher einen Reisepass, in erster Linie Geschäftsleute und Staatsbeamte. Für Staatsbeamte ist das Ausreisen jetzt schwieriger geworden, weil man in Moskau auch Provokationen gegen sie fürchtet. Eine Auslandsreise muss man außerdem bewilligt bekommen. Das ist auch mit ein Grund, warum viele Reiseveranstalter Pleite gemacht haben. (Teresa Eder, 18.6.2015)