Mehr Ordnung statt Kraut und Rüben.

Krautreporter

Wien – "Der Online-Journalismus ist kaputt. Wir kriegen das wieder hin" – einer der markigen Sprüche, mit denen das Portal krautreporter.de im vergangenen Oktober an den Start ging. Den ersten Erfolg konnte das ambitionierte Projekt bereits im Juni davor feiern: In einer vielbeachteten Crowdfunding-Kampagne gelang es, die veranschlagten 900.000 Euro Startkapital zu sammeln. Geboten wurde und wird eine Mitgliedschaft um 60 Euro, die erlaubt, sich in den Userforen von krautreporter.de auszutoben – einmal im Jahr ist der Beitrag fällig. Die ersten Mitgliedschaften laufen jetzt im Juni aus – in der Anfangsphase des Projekts konnten insgesamt 15.000 Mitglieder gewonnen werden.

Die Zahl der nun erhofften Verlängerungen wird dem Projekt ein Zeugnis über das erste Jahr des Bestehens ausstellen – unzufriedene und enttäuschte Mitglieder werden den Krautreportern dann die Unterstützung entziehen. Laut Herausgeber Sebastian Esser benötigt man 6.000 Unterstützer, um das Projekt fortführen zu können. Auf der anderen Seite gelang es im Laufe des Jahres, 3.000 weitere Mitglieder zu gewinnen – was in der momentanen Phase wesentlichen Druck von dem Projekt nimmt.

Idee vom Nachbarn

Gegründet wurde Krautreporter nach dem Vorbild des niederländischen "De Correspondent". Ziel ist es, unabhängigen Journalismus ohne Werbung zu garantieren. Im Gegensatz zum Vorbild aus den Niederlanden sind die Inhalte bei den Krautreportern frei und kostenlos zugänglich – eine Mitgliedschaft hat also abseits der Forennutzung und einiger Veranstaltungen einen sehr philanthropischen Charakter. Im Gegensatz zu den Krautreportern hat "De Correspondent" bereits die ersten Hürden genommen: Im mittlerweile dritten Jahr des Bestehens wuchs die Mitgliederzahl auf über 33.000 – eine Vorgabe für das deutsche Pendant.

Anders als klassische Ressorts ist krautreporter.de chronologisch angelegt. Während der Cursor also nach unten wandert, überfliegt er eine Vielzahl an bunt zusammengewürfelten Themen. Um vier Reportagen sollte das Portal ursprünglich pro Tag wachsen – was sich dann häufig doch nicht ganz ausging. Prinzipiell ist das auch kein Problem, da die Reportagen zum Teil über eine enorme Länge verfügen und somit genug Lesestoff vorhanden ist.

Turbulenter Beginn

In dem ersten Jahr ihres Bestehens hatten die Krautreporter auch mit allerhand Gegenwind zu kämpfen. Videoreporter Tilo Jung erntete einen veritablen Shitstorm, als er zum Weltfrauentag eine Bilderreihe auf Instagram veröffentlichte, in der ein Mann am Strand eine Frau mit einem Fußtritt ins Wasser befördert. Die Kollegen distanzierten sich von dem sexistischen, gewaltverherrlichenden Fauxpas, und Jung selbst kündigte an, nicht nur die Krautreporter verlassen zu wollen, sondern den Journalismus gänzlich an den Nagel zu hängen. Einige Zeit nach dieser Ankündigung war er wieder für das Portal aktiv: Nach einer Entschuldigung, in der er seinen Aussetzer weder zu rechtfertigen noch herunterzuspielen versuchte, konnte er weiterarbeiten.

Sein Abgang wäre wohl kaum zu kompensieren gewesen: Im Jänner nahm sich ein Blogger die Zeit und zählte sämtliche Artikel auf krautreporter.de und ordnete sie den Verfassern zu. Heraus kam, dass Jung mit 19 von insgesamt 125 Artikeln den mit Abstand höchsten Output der bis dahin 35 aktiven Journalisten hatte.

Vermehrt Konzentration auf Inhalte

Auch thematisch taten sich die Krautreporter schwer, sich zu positionieren. Anlässlich seines Abschieds von dem Projekt beschrieb Medienjournalist Stefan Niggemeier, unter anderem Herausgeber des "Bildblogs", seine Erfahrungen auf seinem Blog: Seiner Ansicht nach konzentrierte sich die Redaktion zu sehr auf das Geschäftsmodell statt auf eine gemeinsame redaktionelle Linie. Die Autoren sollten die Freiheit haben, Geschichten zu veröffentlichen, die sonst nirgends erscheinen würden: "Aber das ist noch keine Antwort auf die Frage, was für Geschichten wir dann aufschreiben wollen und sollen und welche Geschichten unsere Leser von uns erwarten können. Es fehlte etwas, das diese Geschichten verbindet — für uns Autoren, und für die Leser vermutlich auch."

Für die Zukunft geben sich die Krautreporter vorsichtig realistisch. Zwar wollen laut einer Umfrage 50 Prozent der Mitglieder das Projekt nicht weiter unterstützen, die magische Schwelle von 6.000 Mitgliedern sollte dennoch nicht unterschritten werden. Neue Finanzierungsmodelle werden bereits angedacht: Ein Genossenschaftsmodell wie bei der Berliner "taz" soll den Lesern Mitsprache bei Entscheidungsprozessen garantieren und für zusätzliche Einnahmen sorgen. (Andreas Haberl, 18.6.2015)