Die Suche nach dem verschollenen Bild, das der Familie Engelberg einst die Flucht vor den Nazis in die USA ermöglicht hat, geht weiter: Auf der jüngsten Etappe folgt das "Follow the Money"-Team dem einstigen Fluchtweg in die Schweiz. Dabei soll mehr über die Zustände auf dem Schweizer Generalkonsulat in München im Jahr 1938 in Erfahrung gebracht werden. Endlich kommt das Team auf eine heiße Spur: das Visum, auf dem eine Unterschrift entziffert werden kann.

Folge 5 des #kunstjagd-Podcasts:

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"Follow the Money"-Werkstattbericht: Das Visum

Wir sind jetzt seit fünf Wochen unterwegs. Sind in München Paulas Weg abgelaufen, haben die Datenbanken gecheckt und in Galerien und Kunsthandlungen nachgeforscht – ohne Ergebnis, aber mit wertvollen Hinweisen auf den Künstler Otto Th. W. Stein, der das Bild gemalt hat, das wir suchen. Und dessen Schwestergemälde, das immer noch bei Edward Engelberg in Portland hängt. Von München aus sind wir nach Tschechien, nach Chemnitz und zum Stein-Experten Olaf Thormann in Leipzig gereist. Wir wissen jetzt mehr über Stein, über das jüdische Leben im "sächsischen Manchester" Chemnitz. Dabei haben wir herausgefunden, dass Steins Atelier um die Ecke der Engelbergschen Wohnung lag, und das Stein in den Kreisen der Chemnitzer Kaufleute verkehrte – Kreise, zu denen Edward Engelbergs Vater Jakob als "kaufmännischer Textilwarengroßhändler" und über seinen Schwiegervater, einen Fabrikanten, sehr wahrscheinlich gehörte. Aber belegen, wie und wo sich der Künstler und die Eltern von Edward Engelberg vor inzwischen rund 90 Jahren begegnet sind, können wir nicht. Wir wissen nur, dass das passiert sein muss, denn Edward Engelberg besitzt ja immer noch eine Stein-Zeichnung mit einer Widmung in Steins Handschrift: "Herrn Engelberg".

Olaf Thormann, der Stein-Experte, hat uns geholfen, eine Liste mit 14 Gemälden zu erstellen, die aufgrund ihrer Provenienz und ihres Motivs Kandidaten für das verlorene Schwestergemälde sein könnten. Daraus bauen wir ein "Fahndungsplakat" und hoffen auf Hilfe von außen. Mit nur wenig Erfolg, nur ein Hinweis von einem Wiener Kunsthändler erreicht uns über Whatsapp: Er besitze eines davon. Als wir wenig später mit Edward Engelberg skypen können, erkaltet diese Spur aber schon wieder. Das Wiener Bild kommt nicht in seine engere Auswahl.

Die Visumsspur

Während wir weiter im Heute nach Edwards Kandidaten fahnden, fahren wir in die Schweiz, um dem zu folgen, was wir inzwischen "die Visumsspur" nennen. Wir wollen ins Schweizer Bundesarchiv, dort liegen stapelweise Akten, die uns Einsicht verschaffen in die Zustände und die Stimmung dort im Jahr 1938. Als erstes gleichen wir die Namen mit der Unterschrift auf dem Visum ab: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit hat ein Wolfgang Gribi das Papier unterzeichnet, das den Engelbergs zur Freiheit verhalf. Er war erst kurz zuvor von Stuttgart nach München versetzt worden, als rechte Hand und Unterstützung für den Kanzleichef Paul Frei, der sich in seinen Eingaben an die Vorgesetzten sehr eloquent über zu geringe Bezahlung und zu wenig Urlaub beschwert.

Gribi war damals 34 – er sollte später noch Karriere machen und zum Vizekonsul in Köln aufsteigen, wo er 1958, gerade mal 53-jährig, an einem Magen-Darm-Geschwulst starb. Wir finden Hinweise auf seine Ehefrau, und wir finden eine Nachlassliste – zwei Gemälde sind verzeichnet. Eine Sonnenblume, eine Kirchenansicht – kein Frauenporträt. Es ist seltsam, über den Blick in Aktenordner einen so intimen Einblick in das Leben längst verstorbener Menschen zu bekommen.

Die Suche nach überlebenden Verwandten und Bekannten – in Zeitungsarchiven, alten und neuen Telefonbüchern und Stammbäumen – läuft ins Leere. Zwar machen wir sogar die letzte Adresse von Gribis Witwe ausfindig, sie wäre heute 106. Aber wir sind – natürlich – zu spät: Dabei hat sie laut Auskunft des Berner Seniorenheims "vor wenigen Jahren" noch gelebt. Eine weitere Mitarbeiterin des Generalkonsulats, die "selbstständig mit Visaangelegenheiten" betraut war, ist in den 1950er Jahren von einem anonym bleibenden Deutschen denunziert worden, ob ihres luxuriösen Lebenswandels und Kontakten zu "schlecht beleumdeten" Kreisen. Aber die Vorwürfe sind wohl niemals erhärtet worden, und auch bei ihr findet sich niemanden mehr, der sich an sie erinnern würde – nicht mal ihr heute 95-jähriger Nachbar aus Münchner Zeiten, den wir tatsächlich übers Telefon in seinem Haus am Kochelsee erreichen, weiß irgendetwas. Die Kinder des damaligen Generalkonsuls Paul Ritter – Lia Spielmann und Alfons Ritter – sind ebenfalls nicht ausfindig zu machen.

Jüdische Konsulatsmitarbeiterin

Da stoßen wir auf eine jüdische Mitarbeiterin, eine kleine Angestellte, die damals schon über 60 war. Vielleicht hatte sie ja Verständnis für die Engelbergs? Wir werden es nicht herausfinden, auch ihre Spur verläuft sich in der Zeit. Schließlich gab es noch den unzufriedenen Kanzleichef Paul Frei – und er hat eine Tochter, sie hat eine Meldeadresse, aber keine Telefonnummer, und sie ist auch schon 78. Dennoch: Wir werden versuchen, mit ihr zu sprechen, wenn wir wieder in Deutschland sind.

Wenigstens sind uns jetzt die Zustände in München etwas klarer. Über 600 Visa wurden hier 1938 verteilt, 182 im Jahr davor, und der Großteil davon im Herbst, nach Einführung von Judenstempel und nach den Schrecken der Reichspogromnacht. Vor dem Generalkonsulat bildeten sich Schlangen, die Schweizer führten ein Wartenummern-System ein – und schafften es wieder ab: weil kriminelle Elemente ein Geschäft draus machten, die Nummern zu verkaufen. Viel Anlass zu Spekulation, nichts Handfestes.

Die Geschichte, an die sich Paula Engelbergs Kinder erinnern – dass ihre Mutter sagte, sie habe für das Bild ein Visum bekommen – liegt nun über siebzig Jahre zurück. Lebende Zeitzeugen, die sich an diese Zeit, an Paula, Jakob, Edward und Melly erinnern, haben wir bisher nicht finden können. Nicht mal der Sohn der Zuckers, bei denen die Engelbergs damals in Zürich auf ihrer Flucht Unterschlupf fanden, kann sich an mehr als den Nachnamen erinnern, den seine Großmutter manchmal erwähnt habe. Wir müssen immer wieder feststellen, dass die vor den Nazis geflohenen Engelbergs eben "ganz normale Menschen" waren. Nur ein Schicksal unter so vielen anderen. Was ihnen widerfuhr, wurde kaum dokumentiert, und von den Menschen, die mit ihnen in Berührung kamen, nicht an ihre eigenen Kinder überliefert. Wenn es diese Erinnerungen irgendwo gibt, so haben wir sie bisher nicht ausfindig machen können. Wir laufen immer wieder ins Leere.

Doch wieder gibt es einen Strohhalm, an den wir uns klammern können: Während wir in der Schweiz die Akten durchwühlt haben, haben uns weitere Hinweise auf die Spur der Bilder erreicht, die Edward Engelberg auf unserem Fahndungsplakat ausgewählt hat. Wir müssen zurück nach Deutschland.

Das Videotagebuch zur Woche 4:

Follow the Money (FtM)

(red, 18.6.2015)