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Für Murano-Glas entstand die erste Patentstrategie.

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Ein Gewinner des Erfinderpreises 2015 ist die Funktechnologie NFC.

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Im Venedig des 15. Jh. waren die Techniken der Glasherstellung gut gehütete Geheimnisse weniger Eingeweihter. Der Doge hatte Angst, dass das Wissen, das die Handelsmacht stützte, verlorengeht. Die Glasbläser von Murano wollten ihre Kunst aber nicht weitergeben. Man einigte sich auf einen Deal: Wenn die Glasbläser ihr Wissen teilen, schützt sie der Machthaber eine Zeitlang vor Konkurrenz. Damit war jener Mechanismus geboren, der noch heute hinter dem Patentrecht steht.

600 Jahre später steht Jeremy Philpott vom Europäischen Patentamt in einem Hotelseminarraum in der Pariser City und will anhand dieser Geschichte klarmachen, wie stark der Gedanke des geistigen Eigentums in unserer Kultur verankert ist. Tags darauf wird im Rahmen des Europäischen Erfinderpreises 2015 in der prunkvollen alten Börse der Stadt eine Handvoll Entwickler gekürt, deren Patente eine Technologie besonders erfolgreich auf den Weg zur kommerziellen Verwertung gebracht haben.

Mit der Funktechnologie NFC, die künftig Teil jedes Handys sein soll, konnte der österreichische Entwickler Franz Amtmann vergangene Woche gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Philippe Maugars vom Halbleiterhersteller NXP die Kategorie "Industrie" für sich entscheiden (siehe Interview). Ein neuartiger Kunststoff, der sich leicht recyceln lässt, ein genbasierter Test für Brustkrebs und chemische Labors, die auf kleine Chips passen, befinden sich ebenso unter den ausgezeichneten Erfindungen. Klar ist: Hier befindet man sich an einer zentralen Schnittstelle zwischen Forschung und Wirtschaft.

Rechtssicherheit für Patente

Philpott erläutert auch den Status quo des seit langem erwarteten Europäischen Einheitspatents. Diese Vereinbarung soll die Verwertung von Patenten mit einem "single legal right" kalkulierbarer machen. Das Ziel: Patente mit Rechtssicherheit in allen Unterzeichnerstaaten. Von Land zu Land widersprüchliche Patenturteile sollen der Vergangenheit angehören. Sechs Staaten inklusive Österreich haben bereits ratifiziert. Gestartet wird, sobald das Übereinkommen in 13 Staaten ratifiziert wurde. Vielleicht 2016.

Seit der Schaffung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Jahr 1957 wird eine Lösung angestrebt. 1973 gründeten sieben Staaten das Europäische Patentamt, das selbst keine EU-Institution ist und dessen Mitgliederanzahl bis heute auf 38 Staaten angewachsen ist. In der EU kollidiere der Grundsatz des freien Warenverkehrs mit den aktuellen Patentgrundsätzen, so Philpott. Ein Produkt könne etwa in einem Land nicht eingeführt werden, weil ein Patent dort jemandem anderen gehört. Bedenkt man, dass ein Smartphone auf bis zu 2000 Patenten aufbaut, wird klar, dass die Verwaltung des Wissens schnell unübersichtlich wird.

Google übersetzt Patente

Das Patent wird zu einem "Gefahrenschild in fremder Sprache", sagt Philpott und spricht damit auch eine zweite große Baustelle des Europäischen Patentamts an: Übersetzungen sind für die Unternehmen eine hohe Belastung. Linderung soll die Zusammenarbeit des Patentamts mit Google bringen. Der Übersetzungsdienst des Internetriesen – in Abwandlung auch für die Patente genutzt – wird verbessert, indem er mit von Experten übersetzten Patenttexten gefüttert wird.

Die offiziellen Sprachen des Patentamts sind Englisch, Französisch, Deutsch. Spanien, das mit Sprachdiskriminierungsklagen abgeblitzt ist, wird beim Einheitspatent nicht an Bord sein. Bei Italien, das sich ebenfalls sperrte, besteht wieder Hoffnung.

270.000 Anträge jährlich

Bei der Verleihung ist von solchen Unstimmigkeiten nichts zu spüren. Reden und Tanzeinlagen werden abgespult, die Kreativität der Forscher beschworen. Immerhin fordert die polnische EU-Kommissarin Elzbieta Bienkowska, dass ein Einheitspatent für kleine Unternehmen leistbar sein müsse. Über 270.000 Patentanträge werden jährlich gestellt. 64.000 wurden 2014 zugelassen. Zwei Drittel kommen von außerhalb Europas. Nach 20 Jahren – oder wenn die Patentgebühr nicht mehr bezahlt wird – ist das Wissen für alle verwendbar.

Wer das nicht will, dem bleibt nur die Geheimhaltung. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kräuterlikör Chartreuse, produziert von Kartäusern nahe Grenoble. Angeblich verfügt kein Mönch über die gesamte Rezeptur, jeder kennt nur einen Teil, so Philpott. Die Erfindung werde so schon hunderte Jahre geschützt. (Alois Pumhösel, 19.6.2015)