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Obst, Gemüse oder Blumen: Blick aus dem 72. Stock des Wolkenkratzers "The Shard", wo sich Londons höchstgelegener Sommergarten befindet.

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"Gärtnern wird politisch funktionalisiert", sagt Ökologe Andreas Exner.

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STANDARD: Urban Gardening wird nachgesagt, es sei nur etwas für Bobos.

Exner: Urban Gardening erscheint als einheitliches Phänomen, erweist sich aber bei genauerer Betrachtung als sehr heterogen. Ein wichtiger Unterschied ist der zwischen Gärten, die von der Stadt initiiert werden, und jenen, die weitestgehend selbstorganisiert sind. Erstere, also die Top-down-Gärten, sind sozial vielfältiger; die Stadt achtet auf soziale Inklusion. Die selbstorganisierten Bottom-up-Gärten sprechen einen engeren Kreis von Interessierten an – das sind oftmals Leute im Lebensalter zwischen 30 und 40 Jahren, die politisch links orientiert sind.

STANDARD: Wenn man öffentlichen Raum für sich beansprucht und kultiviert – nimmt man ihn nicht gleichzeitig anderen weg?

Exner: Das ist eine politische Debatte, die es auch in Wien gibt: Sind Gemeinschaftsgärten eine Privatisierung oder die positiv konnotierte Aneignung von öffentlichem Raum gegen eine als allmächtig verstandene Bürokratie? Was in Wien auffällt, ist, dass ein Zaun vorgeschrieben wird. Öffentlicher Raum gilt als frei zugänglicher Raum, doch wenn ein Zaun da ist, fühlt man sich nicht eingeladen, diesen Raum zu betreten, und im Extremfall als Eindringling.

STANDARD: Wollen die Gärtner einen Zaun, oder schreibt die Stadt einen vor?

Exner: Der Wunsch nach einem Zaun kommt von beiden Seiten. Viele Gärtnerinnen und Gärtner argumentieren, dass sie keine Hunde in den Beeten haben wollen, oder sie haben Angst vor Vandalismus. Es gibt aber Gärten, die nicht eingezäunt ist und wo das kein Problem darstellt. Man könnte auch die Frage stellen, ob ein Zaun nicht zu Vandalismus einlädt, weil Menschen sich ärgern, dass sie ausgeschlossen werden. Hier wird auch die Frage virulent, wem die Fläche gehört und wer über die Zugänglichkeit entscheidet. Die Stadt erhebt ja auch Pacht. Manche Gärtnernde interpretieren das so, dass ihnen der Raum gehört, weil sie dafür bezahlen. Es gibt Praktiken des urbanen Gärtners, die solche Probleme nicht aufkommen lassen – etwa die Idee der essbaren Stadt, wo Leute frei zugängliche Beete bepflanzen und alle ernten können.

STANDARD: Ist städtischer Obst- und Gemüseanbau eine Notwendigkeit, eine Spielerei oder gar ökonomischer Blödsinn?

Exner: Beim Gärtnern in der Stadt geht es auch um die Idee, die lokale Versorgung sicherzustellen; und das Produktionspotenzial innerhalb der Stadtgrenzen kann man nicht abtun. Doch das ist nur eine Dimension. Die andere ist die, dass im Urban Gardening auch Kritik steckt: etwa am bestehenden Ernährungssystem, das von fossilen Ressourcen abhängt, oder an der autogerechten Stadt.

STANDARD: Ist Kritik durch Urban Gardening nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Exner: Das Phänomen ist – gemessen an der dafür genutzten Fläche und den daran Beteiligten – marginal. Wenn man also meint, dass Menschen nur durch das Tun ihr Verhalten ändern, ist es ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn man meint, dass allein schon die Präsenz von Gärten eine Veränderung bewirkt, dann ist es gar nicht so wichtig, wie viele Menschen konkret teilnehmen. Urban Gardening sollte man in einem größeren Kontext betrachten, den der Soziologe Andreas Reckwitz als eine Kulturalisierung der Stadt beschrieben hat: Das Gärtnern wird politisch funktionalisiert, um sich im Städtewettbewerb zu behaupten; es schreibt sich in eine Ästhetisierung der Stadt ein, die man kritisch sehen kann, weil sie in Richtung Eventisierung und Kommerzialisierung geht – Kreativität wird in bestimmte Formen gepresst. Gärtnern ist aber andererseits eine ästhetische Praktik, die aus dem Rahmen fällt, weil sie eine Alltagsästhetik ist.

STANDARD: Warum sind so wenige Menschen an dem Phänomen beteiligt?

Exner: Weil die Flächen nur limitiert zur Verfügung gestellt werden. Und laufend werden große Flächen versiegelt. Gleichzeitig vermittelt die Stadt ein Image grüner Stadtentwicklung, indem sie Gemeinschaftsgärten initiiert.

STANDARD: Wenn die Stadt mehr Flächen aktiv zur Verfügung stellen würde, würden mehr Leute gärtnern?

Exner: Das ist wahrscheinlich, das Interesse ist da. Die Wartelisten sind sehr lang.

STANDARD: Sollten wir im wachsenden Wien nicht lieber Wohnraum schaffen statt Gartenflächen?

Exner: Warum baut man nicht in die Höhe? In anderen Städten gibt es auch Wolkenkratzer. Es gibt in Wien außerdem sehr viel Leerstand. Und die Bevölkerungsprognosen erscheinen hinterfragbar.

STANDARD: Verschwendet die Stadt mit Gartenförderungen Geld?

Exner: Nachdem dort kaum Geld hingeht, nein. Das Fördern impliziert aber meistens auch ein Fordern – etwa nach einem Zaun –, was von manchen Aktivistinnen und Aktivisten kritisiert wird. Für die Stadt ist das Argument, dass man einen großen Imageeffekt, aber ganz geringe Kosten hat – die Förderung ist ja minimal. (Wien fördert pro Bezirk einen Gemeinschaftsgarten mit bis zu 3.600 Euro, Anm.)

STANDARD: Wo liegt der historische Ursprung von Urban Gardening?

Exner: Die Geschichte zeigt, dass große Krisen mit einer Konjunktur des gemeinschaftlichen Gärtnerns einhergehen. Das hat damit zu tun, dass der Garten ein symbolischer Raum ist, mit dem eine gute politische Ordnung, ein gutes Verhältnis des Menschen zu sich selbst und zur Natur symbolisiert wird. Auch die Wiener Kleingartenanlagen haben diesen Hintergrund. Bei der Siedlerbewegung der 1920er-Jahre ging es etwa um die Aneignung von Flächen zur Nahrungsmittelproduktion, aber auch um ein politisches Projekt der Krisenlösung. Zwischen Kleingartenanlagen und Gemeinschaftsgärten heute gibt es Parallelen: Beide sind als Verein organisiert und haben gemeinschaftliche Aspekte; es gibt – etwa in der Steiermark – viele Kleingartenanlagen, die keine Zäune zwischen den einzelnen Parzellen haben. Der Unterschied liegt in der symbolischen Bedeutung: Kleingartenanlagen entstanden in einer Zeit, als Lebensläufe strikt festgelegt waren, als rigide Standards von Norm und Ordnung vorgegeben waren. Urban Gardening ist hingegen in das junge Phänomen der Kulturalisierung der Stadt eingebettet. (Christa Minkin, 17.6.2015)