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Vranitzky über Kollateralschäden unter Schwarz-Blau: "Ich rede noch gar nicht davon, wie sehr uns das Hypo-Debakel bis heute belastet. Denken Sie an all die Minister der FPÖ, die Versager gewesen sind."

foto: apa/erwin scheriau

Altkanzler Franz Vranitzky (SPÖ) geht mit der rot-blauen Koalition von Landeshauptmann Hans Niessl (SPÖ) im Burgenland hart ins Gericht: "Wenn es bei diesem Tabubruch vor allem darum ging, den Posten des Landeshauptmannes zu retten, dann hätte man dabei nicht vergessen dürfen, was das für eine Signalwirkung haben kann", sagt er im STANDARD-Interview.

Unter anderem stößt sich Vranitzky daran, dass nun "in Teilen der Partei sowie in der Gewerkschaft diskutiert wird, ob der Niessl'sche Weg Zukunft haben könnte" – obwohl sich die Strache-FPÖ einer Wortwahl bediene, die in Bezug auf Verhetzung nichts zu wünschen übrig ließe.

STANDARD: Während Sie für längere Zeit im Ausland weilten, hat Landeshauptmann Niessl im Burgenland eine rot-blaue Koalition geschmiedet – entsetzt darüber?

Vranitzky: Ich war jedenfalls in höchstem Maße überrascht - und nicht gerade positiv, wie Sie sich vorstellen können. Wenn es bei diesem Tabubruch vor allem darum ging, den Posten des Landeshauptmannes zu retten, dann hätte man dabei nicht vergessen dürfen, was das für eine Signalwirkung weit über die pannonischen Grenzen hinaus haben kann.

STANDARD: Weil man in der SPÖ nun gespalten ist, ob die Blauen als Koalitionspartner taugen?

Vranitzky: Genau, denn in Teilen der Partei sowie in der Gewerkschaft wird jetzt diskutiert, ob der Niessl'sche Weg für einen selbst Zukunft haben könnte.

STANDARD: Nachdem man sich fast drei Jahrzehnte lang an Ihre Doktrin gehalten hat, dass mit der FPÖ kein Staat und auch kein Bundesland zu machen ist. Ist für Sie die FPÖ unter Heinz-Christian Strache keinen Deut besser als unter Jörg Haider?

Vranitzky: Für mich war ab dem Parteitag 1986 in Innsbruck, bei dem Jörg Haider die FPÖ unter gröbsten Rülpsern aus der NS-Zeit übernommen hat, klar, dass es für einen Sozialdemokraten unmöglich ist, mit einer solchen Partei eine Regierung zu bilden. Danach folgte ja dann noch das Lob für die ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich, die Auftritte vor Mitgliedern der ehemaligen Waffen-SS, und, und, und. Zwar setzt sich das alles nicht eins zu eins bei Heinz-Christian Strache fort, aber es werden sehr wohl auch für Sozialdemokraten höchst bedenkliche Positionen bezogen.

STANDARD: Etwa angesichts der vielen Flüchtlinge, die nach Österreich kommen?

Vranitzky: Genau. Die FPÖ will diese Menschen, die unter unmenschlichen Bedingungen hierherkommen, einfach zurückschicken. Dazu kommt eine Wortwahl, die in Bezug auf Verhetzung nichts zu wünschen übrig lässt. Daher kann sich aus meiner Sicht ein Sozialdemokrat auch nicht mit einer Strache-FPÖ in einem Regierungsbündnis treffen – noch dazu, wo diese nun eine Rechtsaußenfraktion im EU-Parlament gebildet hat, die von der Chefin des französischen Front National angeführt wird.

STANDARD: Wie kann man den erneuten Aufstieg der FPÖ stoppen – Ihnen selbst wurde einst ja auch vorgehalten, die Partei mit Ihrer Ausgrenzung groß zumachen.

Vranitzky: Ich bin bis heute davon überzeugt, dass man dieser Partei genug entgegensetzen kann – und zwar eigene, überzeugende Politik. Leider hat die derzeitige Regierung bisher einige Felder offen gelassen, wo Strache ungehindert vorstoßen konnte.

STANDARD: Welche konkret?

Vranitzky: In fast allen Meinungsumfragen kommt zum Vorschein, dass die Koalition nicht besonders schlagkräftig wirkt. Denn seit Jahren reden wir über die Notwendigkeit einer Verwaltungs-, einer Bildungs-, einer Gesundheitsreform. Die Bürger wenden sich mittlerweile ab, weil sie glauben, da wird sowieso nichts draus. Wenn dann noch kurzfristig Probleme auftauchen, wie die vielen Asylwerber und die schlechten Arbeitsmarktprognosen, dann hat es einer mit einfachen Parolen besonders leicht. Da sagen sich nicht wenige: "Na, das von dem verstehe ich wenigstens."

STANDARD: Einige rote Gewerkschafter und rote Bürgermeister meinen nun, deshalb müsse man diese FPÖ in die Verantwortung nehmen, um den Leuten ihre Schwächen vor Augen zu führen. Ein Kalkül, das aufgehen könnte – oder ein hochgefährliches Ansinnen?

Vranitzky: Mit diesen risikobehafteten Überlegungen kann ich gar nichts anfangen. Das hat die Ära von Schwarz-Blau unter Wolfgang Schüssel ja gezeigt, was uns das kosten kann – und da rede ich noch gar nicht davon, wie sehr uns das Hypo-Debakel bis heute belastet. Denken Sie daran, wie wir ein ganzes Jahr nach Angelobung dieser Regierung darum kämpfen mussten, dass uns das Ausland wieder demokratiepolitisch ernst nimmt. Denken Sie an all die Minister der FPÖ, die Versager gewesen sind. Und die Blauen konnten bisher weder unter Haider noch unter Strache Lösungen für gravierende Probleme anbieten.

STANDARD: Hätte SPÖ-Chef Werner Faymann die umstrittene Koalition im Burgenland verhindern können – oder zumindest stärker dagegen auftreten sollen?

Vranitzky: Ich will da keine Zensuren verteilen.

STANDARD: Als SPÖ-Chef ist er für Sie unumstritten?

Vranitzky: Sie werden sich sicher vorstellen können, dass ich hier keinesfalls eine Personaldebatte führen werde.

STANDARD: Gut, aber wie hätten Sie als Kanzler gehandelt – auch auf die Entscheidungsautonomie der Bundesländer verwiesen?

Vranitzky: Ich verstehe, dass sich in der SPÖ jetzt nicht monatelang mit koalitionstechnischen Debatten beschäftigen will. Sondern eher damit, wie es zu den schlechten Wahlergebnissen für die SPÖ gekommen ist, damit man die Aktivitäten neu justieren kann. Bei stärkeren Ergebnissen ist man auch in einer besseren Position in Regierungsverhandlungen.

STANDARD: Angesichts der Wirtschaftsflaute und Unterbringungsprobleme von Flüchtlingen klingt das aber einfacher als es ist?

Vranitzky: Das Problem ist, dass die großen Themen Europas oft nur in dümmlichen Scharmützeln über diverse Verordnungen der EU-Kommission abgehandelt werden. Dabei müssen wir derzeit mit der Wirtschaftsschwäche genauso fertigwerden wie damit, dass Teile des kriegsgebeutelten Nahen Ostens und Afrikas Europa überrennen. Da müssen auch in der Union die gemeinsamen Anstrengungen verstärkt werden – und die Bevölkerung dabei mitgenommen werden, denn ansonsten wenden sich weitere den EU-Gegnern zu.

STANDARD: Doch wie können Faymann und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eine gemeinsame Aufteilung der Asylwerber erwirken?

Vranitzky: Das ist ganz harte Sisyphosarbeit, keine Frage. Aber man kann sehr wohl in der Union seine Stimme erheben, dass es so nicht weitergehen kann und darf. Der größte Denkfehler ist jedenfalls, dass die etablierten Parteien überall, wo die Rechtspopulisten die Oberhand gewinnen, deren Kampfrufe abkupfern – das ist ja auch in Frankreich so, das Italien die Bürde mit den Asylwerbern überlässt. Man jagt aber den Straches und Le Pens keine Wähler ab, indem man sich wie sie gebärdet. Wenn Mikl-Leitner versucht, Strache zu kopieren, wählen die Leute trotzdem Strache. (Nina Weißensteiner, 16.6.2015)