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Die an der Universität Oxford entstandenen Smart Glasses für Blinde sind eine von vielen informatorischen Entwicklungen, um sehbeeinträchtigte Menschen zu unterstützen.

Foto: picturedesk.com/Action Press/Oxford University

Wien - Nicht jeder kann so studieren und forschen, wie er möchte. Das gilt vor allem für Menschen mit körperlichen Behinderungen, die im Universitätsalltag vor erheblich größeren Herausforderungen stehen als andere Studierende. Wie man im Bereich der Informatik die Ausbildungsmöglichkeiten für Personen mit Handicaps verbessern und die Integration von physisch beeinträchtigten Wissenschaftern vorantreiben kann, darüber machten sich kürzlich in Wien Informatiker Gedanken - im Rahmen der Veranstaltungswoche "Imagine Bits of Tomorrow" des Verkehrsministeriums und der Forschungsförderungsgesellschaft FFG.

Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildete ein Vortrag von Joachim Klaus, dem Gründer und langjährigen Leiter des Studienzentrums für Sehgeschädigte (SCS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). "Noch in den Neunzigerjahren mussten Blinde eine Armbinde tragen wie ein Straßenschild. Aber wir sind immer noch nicht viel weitergekommen: Der Arbeitsmarkt bleibt Menschen mit Behinderung heute immer noch zu großen Teilen verschlossen", gab Klaus zu bedenken und zitierte den früheren deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: "Dass Behinderung nur als Verschiedenheit aufgefasst wird, ist das Ziel, um das es uns gehen muss."

Neue Berufsfelder für Blinde

Wie eine solche Inklusion an der Uni vonstattengehen kann, zeigte Klaus anhand eigener Erfahrungen: 1987 startete der Karlsruher Modellversuch "Informatik für Blinde und Sehbehinderte". Das Ziel sei damals gewesen, Menschen mit Sehstörungen Berufsfelder zu öffnen, die ihnen vor- her verschlossen waren. Informations- und Kommunikationstechnologien hielt man dabei für die zentralen Studienrichtungen.

Damals stieß dieses Vorhaben nicht nur auf Wohlwollen: Die deutsche Bundesanstalt für Arbeit war der Ansicht, dass Studiengänge der Mathematik sowie Natur- und Ingenieurswissenschaften sich absolut nicht für Sehgeschädigte eigneten. Sogar diverse Behindertenverbände beurteilten das Vorhaben skeptisch, weil sie "Elitebildung" befürchteten. Jedoch konnte man diese Widerstände aufweichen - heute ist das SCS Teil des Lehrstuhls "Informatiksysteme für Sehgeschädigte". Klaus berichtete von Studierenden, die aus dem Institut hervorgegangen sind: So wurde ein vietnamesisches Flüchtlingskind - blind und beidseitig unterarmamputiert - einer der ersten Diplominformatiker in Karlsruhe und ist bis heute in der Wirtschaft tätig.

Auch in Österreich gibt es derartige Aktivitäten. Als ein Zentrum dieser Bemühungen kann die Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz gelten, die sich verstärkt mit der Inklusion von Menschen mit Behinderungen in allen Studienrichtungen beschäftigt. Dabei spielt die Informatik eine zentrale Rolle, wie Klaus Miesenberger, stellvertretender Vorsitzender des Instituts Integriert Studieren, ausführt: "Wir nutzen die Methoden der Informatik, um Inhalte, Präsentationsformen oder Laborarbeitsplätze barrierefrei zu gestalten. Das wenden wir zum einen an unserer Hochschule praktisch an, zum anderen ist das hier seit 25 Jahren Schwerpunkt in unseren Forschungsaktivitäten."

4-D-Joystick

Hierzu zählt in der Praxis in Zusammenarbeit mit den einzelnen Instituten und Fachverlagen die Aufbereitung von Studienunterlagen in digitaler Form. Ein digitales Dokument wird im Allgemeinen in diesen Fällen via Sprachsynthese vorgelesen oder in Brailleschrift taktil zugänglich gemacht, was alles der Rechner erledigt. Miesenberger: "Sehbehinderte benutzen den Computer wie andere Papier und Bleistift. Das ist das Werkzeug, mit dem sie sich Inhalte zugänglich machen."

Derzeit gibt es 130 sehbehinderte Studierende an der JKU. Auch war das Institut bislang an mehr als 90 einschlägigen Forschungsprojekten beteiligt, wobei man sich nicht ausschließlich der Sehbehinderungen annimmt. Die jüngste Innovation der Linzer Forscher ist der "4-D-Joystick": Menschen mit schweren körperlichen Behinderungen können ihn mit dem Mund als Musikinstrument und Eingabegerät am Computer verwenden oder damit ferngesteuerte Minifahrzeuge manövrieren.

Da man in Linz das Ziel hat, sich dem Thema vielseitig zu widmen, spielt Inklusion auch in der Lehre eine Rolle: In der Informatik ist die barrierefreie Systementwicklung ein Pflichtfach, was laut Miesenberger weltweit einzigartig ist. (Johannes Lau, DER STANDARD, 17.6.2015)