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Die Computerspielindustrie ist zwar so groß wie die Musik- oder Filmindustrie, wird aber trotzdem von kulturwissenschaftlichen Institutionen immer noch unterschätzt" sagte Ernst Strouhal, der die Konferenz "Agon und Ares: Der Krieg und die Spiele" organisierte.

Foto: REUTERS/Ina Fassbender

Wien – "Der Krieg ist der Vater aller Dinge", heißt es in einem Fragment des griechischen Philosophen Heraklit. Wenn man sich früheste Computerspiele wie Asteroids oder Space Invaders ansieht, scheint das zu stimmen: Zeigen diese Weltraumschießereien, dass Games von Anfang an mit Gewalt zu tun hatten? Auch verweist bereits Schach mit seinem Figuren auf einen militärischen Konflikt.

In der Tat haben viele Brett- wie Computerspiele etwas mit dem Krieg gemein: Ziel ist es, den Gegner zu überwinden. Frei zitiert nach dem Militärtheoretiker Carl von Clausewitz lässt sich fragen: Ist der Krieg die Fortsetzung des Spiels mit anderen Mitteln? Dieser Verbindung versuchte vergangene Woche eine Konferenz am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften der Kunstuni Linz in Wien unter dem Titel "Agon und Ares: Der Krieg und die Spiele" nachzuspüren. Dabei widmete man sich auch den Computerspielen.

Unterschätzte Industrie

"Unser Hauptanliegen war, einen Schwerpunkt zu setzen, der die Tradition der Kulturgeschichte des analogen Spiels mit dem Global Player der Computerspielindustrie verbindet. Letztere ist zwar so groß wie die Musik- oder Filmindustrie, wird aber trotzdem aus verschiedenen Gründen von kulturwissenschaftlichen Institutionen immer noch unterschätzt", sagte der Konferenzorganisator Ernst Strouhal, Kulturgeschichtsforscher an der Universität für angewandte Kunst Wien und Schachkolumnist des STANDARD.

Den Beginn der Erkundungen in diesem kulturwissenschaftlichen Neuland machte der Medientheoretiker Stephan Günzel, Leiter des Studiengangs Game-Design an der Berliner Technischen Kunsthochschule. Günzel: "Der Literaturwissenschafter Friedrich Kittler schrieb einmal: 'Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Missbrauch von Heeresgerät.' Ich würde im Fall der Computerspiele eher von einer gegenseitigen Durchdringung beider Bereiche zu sprechen."

Davon ausgehend, versuchte der Berliner Forscher, Kittlers These umzukehren und an zahlreichen Beispielen aufzuzeigen, wie die Unterhaltungsindustrie wiederum als Heeresgerät missbraucht wurde. Das Computerspiel entwickelte sich nämlich im Wechselspiel mit dem Militär und beeinflusste auch das Heerwesen. Gerade im westlichen Militärwesen verstand man es stets, diese Technologie zur Rekrutierung, Ausbildung und heutzutage auch verstärkt in der Traumabehandlung zu nutzen. Bereits 1980 ließ sich die US-Armee, inspiriert von Ataris Battlezone, das als erster Egoshooter gilt, eine eigene Version für die Ausbildung von Panzerschützen entwickeln.

Von einer ähnlichen Wechselwirkung wusste Franz Ablinger von der Universität für angewandte Kunst Wien zu berichten, der aber historisch noch weiter zurückging und den Aufstieg der Computerindustrie in Form ei- nes technikgeschichtlichen Rückblicks als eine Folge des Zweiten Weltkrieges darstellte: Ausgehend von diesem kollektiven Schock, folgte ein rasanter Aufbau, der vor allem auf Luftabwehr, Funk und Radar konzentrierten elektronischen Verteidigungsindustrie, aus der spätere Entwicklungen der Computertechnologie hervorgingen.

Kommentar und Waffe

Als symptomatisch für diese Entwicklung nannte Ablinger Spacewar! aus dem Jahr 1961, das man für das erste Computerspiel überhaupt hält: Dieser Weltraumkampf erblickte am MIT am Transistorcomputer PDP-1 das Licht der Welt. Der Rechner mit einem Umfang zweier Kühlschränke war die zivile Variante des TX-0, den die US-Airforce verwendete.

In die Gegenwart holte einen anschließend Margarete Jahrmann von der Zürcher Hochschule der Künste zurück, indem sie einen Überblick über zeitgenössische Spielformen vermittelte, die als sogenannte "serious games" gesellschaftliche Zusammenhänge vermitteln oder aber auch sogar politischen Protest selbst artikulieren: "Spiele können heute nicht nur ein Kommentar, sondern auch die Waffe selbst sein. Die Wirkungsweise eines Spiels ist nicht nur über die prozedurale Rhetorik des Spiels zu verstehen, sondern kann auch ein aktivistisches Statement künstlerischer Intervention in der Realität sein."

Als Beispiel zeigte die Medienkünstlerin ein selbstentwickeltes Spiel zum Irakkrieg, in dem sich die lineare Wahrnehmung eines herkömmlichen Ballerspiels zunehmend auflöste und mit jedem abgegebenen Schuss automatisch eine Protestmail an das Weiße Haus versendet wurde.

Am Ende stand der Vortrag von Mathias Fuchs vom Centre for Digital Cultures der Leuphana-Universität Lüneburg. Fuchs versuchte zu belegen, dass der aktuelle Diskurs über "Gamification" – die Ausweitung von Computerspielprinzipien zur Lösung realer Probleme – jener Rhetorik ähnle, die auch in verschiedenen Epochen zur militärischen Mobilmachung verwendet wurde. (Johannes Lau, DER STANDARD, 21.6.2015)