Für Hartmanns Genfer "Fidelio"-Inszenierung hat Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt das Gefängnis von Florestan in einen tiefen schmutzigen Krater verwandelt.

Foto: Carole Parodi

Mehr als elf Autostunden liegt Genf von Wien entfernt, und für Geschehnisse am Wiener Burgtheater wird man sich in der französischen Schweiz wohl nur ganz am Rande interessieren! Und doch haben den ehrlos vorzeitig gekündigten Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann seine Österreicherfahrungen nicht ganz losgelassen, als er nach längerer Pause wieder sein Regiehandwerk mit Ludwig van Beethovens Fidelio am Grand Théâtre de Genève aufnahm:

Das Rednerpult zum Beispiel, vor dem der Gouverneur Pizarro seine Ansprache hält, scheint das österreichische Staatswappen zu tragen. Der Schurke Pizarro ist bei ihm ein leutseliger, oft lächelnder Karrierepolitiker, der, immer Hände schüttelnd, auf gute Seilschaften bedacht ist. "Nun ist es ihm gelungen", seinen Gegner mundtot zu machen!

Ob solche Anspielungen auch in der Schweiz erkannt wurden? Oder die Anspielung auf das Geld, "das man auch daneben hat", wie es in der Arie des Gefängnisbeamten Rocco heißt. Auszahlungsmodalitäten wie im Burgtheater seinerzeit? Rocco hat das Geld an mehreren Orten in der Gefängniskantine versteckt und versucht mit Bündeln von Dollarscheinen Fidelio als Schwiegersohn zu umwerben.

Mit Beethoven Fidelio hat sich Matthias Hartmann einen äußerst schweren Regiebrocken ausgesucht - denn wie verbindet man die disparaten Teile dieser Oper: das abstrakte Freiheitspathos mit dem kleinbürgerlichen Singspiel? Hartmann - sein Fidelio spielt in der Gegenwart - ist dies ohne bedeutungsschwangere Schwere, ja mit geradezu komödiantischer Lust gelungen; unterstützt vor allem von der eindrucksvollen Raumlösung von Raimund Orfeo Voigt.

Räume kommen und gehen

In die hohen weißen Wände, die die Bühne begrenzen, schieben sich im ersten Teil immer wieder einzelne Zimmer: das Büro Jacquinos mit Überwachungskameras, die Gefängniswaschküche, in der Marzelline arbeitet, oder die Kantine, in der am Tag des Königs auch die Gefangenen - der Strafvollzug scheint recht human - gehen dürfen. Doch dann verschwinden diese Räume, und die inneren Gedanken der Protagonisten werden sichtbar.

Bisweilen muss man sogar die minutiös erarbeiteten schauspielerischen Leistungen mehr bewundern als ihre sängerischen Leistungen, insbesondere bei der Politikerdarstellung des Pizarro von Detlef Roth. Albert Dohmen singt und spielt gleichermaßen lustvoll den braven Beamten Rocco. Doch insbesondere Elena Pankratova in der Titelrolle scheint eine Idealbesetzung! Mühelos kann sie zwischen den hochdramatischen und den lyrisch zarten, zwischen den tiefen und hohen Stellen ihrer Partie wechseln.

Wie das Bühnenbild so schafft auch Pinchas Steinberg mit dem Orchester de la Suisse Romande für Fidelio einen eindrucksvollen Klangraum, insbesondere die Ouvertüre und das Vorspiel zum zweiten Akt hört man wie in neuen eindrucksvoll überraschend-irritierenden Farben.

Das Gefängnis von Florestan ist ein tiefer schmutziger Krater, an dessen Rand schließlich der Minister auftaucht. In Beethovens ausgelassen lebhaftem Finale lässt Matthias Hartmann die jubelnden Personen dabei nicht steif-feierlich herumstehen, vielmehr schütten sie den Krater zu, werfen Anstaltskleidung hinterdrein. Und Florestan - wieder rehabilitiert - schmeißt ganz am Ende auch das Rednerpult mit dem Staatswappen dort hinein. Weg damit! (Bernhard Doppler aus Genf, DER STANDARD, 17.6.2015)