Istanbul - Die türkischen Behörden haben am Dienstag in der Stadt Akcakale an der Grenze zu Syrien vier Journalisten vorübergehend festnehmen lassen, darunter den Korrespondenten der "Welt". Grund seien unbequeme Fragen an den Gouverneur der Grenzprovinz Sanliurfa gewesen, zu der Akcakale gehört, erklärte "Welt"-Reporter Deniz Yücel nach seiner Freilassung auf Twitter.

In Akcakale waren in den vergangenen Tagen mehrere tausend Flüchtlinge angekommen, die vor Gefechten in der auf der syrischen Seite der Grenze liegenden Stadt Tal Abjad geflohen waren. In Tal Abjad hatten kurdische Milizen die Kämpfer vom "Islamischen Staat" (IS) vertrieben.

Vier Festnahmen

Bei einem Besuch an der Grenze wurde Gouverneur Izzetin Kücük am Dienstag laut dem Fernsehsender IMC-TV von Journalisten nach Berichten gefragt, wonach einige Flüchtlinge in Akcakale wegen ebenfalls in die Stadt gekommener IS-Kämpfer um ihre Sicherheit fürchteten. Darauf habe der Gouverneur die Begegnung mit der Presse für beendet erklärt und die Polizei angewiesen, vier Reporter festzunehmen. Dabei handelte es sich um Yücel und Vertreter mehrerer Oppositionszeitungen.

21 Monate für einen Tweet

Ein Gericht in Ankara hat am Dienstag den Chefredakteur der englischsprachigen Zeitung "Today's Zaman" wegen Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan zu 21 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht in der türkischen Hauptstadt befand Bülent Kenes schuldig, Erdogan durch einen Eintrag im Kurznachrichtendienst Twitter im Juli 2014 auf strafbare Weise beleidigt zu haben.

Kenes hatte bei Twitter kurz vor Erdogans Wahl zum Präsidenten geschrieben, dessen 2011 verstorbene Mutter hätte sich ihres Sohnes geschämt, wäre sie noch am Leben. "Glücklicherweise lebt die ehrenwerte Mutter dieses unwürdigen Mannes nicht mehr und muss nicht mit ansehen, was für einen Sohn sie hat", schrieb Kenes damals, ohne den Namen des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan zu nennen.

Kenes hatte sich darauf bei seiner Verteidigung ebenso wie auf die in der Türkei geltende Meinungsfreiheit berufen. Das Gericht betrachtete den Eintrag dennoch als Beleidigung Erdogans und verurteilte den Journalisten zu der Bewährungsstrafe, wie es auf der Internetseite von "Today's Zaman" hieß.

Die Zeitung ist die englischsprachige Version der türkischsprachigen "Zaman", die der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fetullah Gülen nahesteht. Der frühere Weggefährte Erdogans gilt heute als scharfer Kritiker und Feind des Präsidenten. Medienrechtsaktivisten sehen in dem jüngsten Urteil aber vor allem eine weitere Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, wo sich immer wieder Journalisten, Blogger und Künstler wegen vermeintlicher Beleidigung Erdogans oder anderer Politiker vor Gericht verantworten müssen.

Kritiker im In- und Ausland werfen der türkischen Regierung vor, die Grenzen der Presse- und Meinungsfreiheit in dem EU-Bewerberland immer enger zu ziehen. Präsident Recep Tayyip Erdogan geht seit seiner Wahl im vergangenen Jahr gerichtlich gegen Journalisten, Aktivisten und Studenten vor, von denen er sich beleidigt fühlt. (APA, 16.6.2015)