London. Es ist dunkel. Die Bahn öffnet ihre Türen. Gefühlt im Nirgendwo. Hinter der nächsten Ecke eine meterlange Menschenschlange vor einem aufgelassenen Bürogebäude. Auf drei Ebenen leuchten bunte Discolichter durch die Fenster. Uns erwartet das angesagteste Street Feast der Stadt.

Wir fühlen uns kurz wie Teenager, als wir bei der Kassa einen Stempel auf die Hand bekommen. Dann werden wir vom dunklen Stiegenhaus des Hawker House in Haggerston verschluckt.

Rein ins Street Feast. Hawker House, Haggerston.
Foto: Karin Stöttinger

Enthusiasmus in Häppchen

Im ersten Geschoß stecken wir neugierig die Nase durch die Tür. Die Stimmung im Raum elektrisiert uns. Profi- und Hobbyköche geben Einblick in die Foodtrends der Zukunft. Neben Burgern mit confierter Ente, Trüffeln und Sauerkraut kosten wir Vollkornnachos mit himmlischer Guacamole und selbstgepresstem Fruchteis als Nachspeise. Der Enthusiasmus der Verkäufer und die Freude an der Sache wird mit den kleinen Häppchen gleich mit verkauft. Wer Essen schätzt und Lust auf Neues hat, empfindet hier ein kindliches Glücksgefühl.

Eismaschine im Hawker Jouse.
Fotos: Karin Stöttinger

Jeder Mieter eines Standes spezialisiert sich auf eine Köstlichkeit, die als unverwechselbares Erlebnis für immer im Gedächtnis des Käufers bleiben soll. Eine Geschmacksexplosion! Erfrischend neu und doch simpel. Die Restaurantalternative der Zukunft scheint gefunden. Es muss nicht zwischen verschiedenen Restaurantrichtungen entschieden werden. Jeder holt sich das Essen, das er am liebsten hat. Kosten und kosten lassen.

Vom Street Feast zum Restaurant

Das Street Feast im Hawker House gibt es seit drei Jahren. Es bietet jungen engagierten Köchen die Möglichkeit, ihre Ideen und Fähigkeiten einem breiten Publikum zu präsentieren und ihre Marke zu etablieren. Die meisten Teilnehmer, die vor zwei Jahren noch hier standen und ihre Leckerbissen verkauften, besitzen heute bereits ein kleines Restaurant. Das Street-Feast-Team hilft bei der Verfeinerung der eigenen Gustostückerl, gibt Feedback und greift beim Aufbau der eigenen Marke unter die Arme. Höchste Qualität und das Engagement der Köche hat oberste Priorität. Das fühlt und schmeckt man auch.

Ob es in London an der traditionellen Straßenfestkultur, der multikulturellen Bevölkerung oder der Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem liegt? Fest steht, auch das britische Wetter kann die Besucher nicht abhalten, gutes Essen zu genießen.

Mein Versuch, bei diesem Städtewochenende drei Tage lang auf der Straße zu essen, geht am nächsten Tag weiter.

Geheimtipp Ropewalk Market

Der Ropewalk Market ist ein Geheimtipp unter den Straßenmärkten. Vor allem Einheimische kennen diesen kleinen, aber feinen Ort. Unter den U-Bahnbögen befindet sich während der Woche eine Tischlerei. Am Wochenende stellen junge Hobbyköche kleine Tische in die Nischen und verkaufen herrliche Gaumenfreuden.

Unter der Woche wird getischlert, am Wochenende geschlemmt.
Foto: Karin Stöttinger

Die Liebe zum Detail macht diesen Markt so speziell. Cocktails werden in Marmeladengläser gereicht, köstliche Sandwiches getoastet und Süßes für alle Naschkatzen verkauft.

"Bad Brownies": Himbeere, Rose, Marshmallow.
Foto: Karin Stöttinger

Süße Köstlichkeiten

Neben der Tischlerei befindet sich die Backstube der St. Johns Bäckerei. Im vorderen Bereich werden die kleinen süßen Köstlichkeiten verkauft, im hinteren Teil kann man den Mitarbeitern bei der Arbeit zusehen. Das Mandelcroissant zeräuft auf der Zunge. Süß, buttrig und doch fluffig – perfekt.

Nebenan haben sich bereits eine Tappasbar und ein Cafè eingemietet. Londoner wissen genau, warum sie dieses Highlight für sich behalten. Das Flair, die Schlichtheit und die unvergesslichen Geschmackshighlights werden mich beim nächsten London-Besuch sicher wieder hierher führen.

Das Herz rast

Am Sonntag schließlich der Brick-Lane-Markt. Im Vergleich zu den anderen Straßenmärkten ist dieser der Bekannteste. Es regnet. Eine Menschenmenge schiebt sich von der Straße in die Halle. An kleinen Ständen gibt es eine schier unüberschaubare Anzahl internationaler Gerichte. Die Auswahl reicht von britisch, über europäisch, asiatisch, zu pan-amerikanisch und bis in den mittleren Osten. Neben Sushi werden etwa Rippchen, Hallacas und Muffins angeboten. Jede Speise sieht umwerfend frisch und köstlich aus.

Das Herz begann beim Anblick der verschiedenen Speisen vor Freude zu rasen. Die Auswahl an unbekannten Geschmäckern und Lebensmitteln ist fast zu groß. Auch hier gilt: Teilen erwünscht und erlaubt. Man schwirrt aus und holt sich die unterschiedlichsten Häppchen zurück an seinen Platz. Wie in einem Ameisenhaufen. Und gutes Essen verbreitet immer eine gute Stimmung.

Ein Wochenende Festmahl der Straße

Straßenmärkte sind eine hinreißende Alternative zu gewöhnlichen Restaurants. Die Stimmung unter den Besuchern und den Hobbyköchen sowie das Flair sind unübertrefflich. Die Geschmäcker sind frisch, experimentell und mutig. Die Auswahl ist groß, für jeden noch so kritischen Gaumen ist etwas dabei. Die Locations sind ausgefallen und abgelegen. Man verliebt sich in diese Kultur leicht.

Dieses Jahr finden einige Street-Food-Märkte in Österreich statt. Man kann auf die Vielfalt und die Neuinterpretation österreichischer Gerichte gespannt sein. An Enthusiasmus und Ideenreichtum wird es den neuen Köchen bestimmt nicht fehlen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Trend offen angenommen und schon bald fester Bestandteil unserer Gesellschaft wird. (Karin Stöttinger, 28.6.2015)