Wien - Er musste zweimal vor den Nazis flüchten und wurde ein Jahrzehnt später vom Sowjetregime inhaftiert. Seine Traumata verarbeitete er im wahrsten Sinne des Wortes in einem überbordenden Werk: Mieczyslaw Weinberg, der polnischstämmige Komponist, der zeit seines Lebens und auch Nachlebens im Schatten seines Mentors Dimitri Schostakowitsch stehen sollte. Die von David Pountney geleiteten Bregenzer Festspiele erinnerten 2010 an den vielseitigen, erst 1996 verstorbenen Komponisten, am Wochenende schickten sich die von Markus Hinterhäuser programmierten Wiener Festwochen an, in vier Konzerten mit der Kremerata Baltica auch die ostösterreichischen Ohren mit den Künsten des Vergessenen vertraut zu machen.

Betörender Harmoniker

Im Konzert am Samstagnachmittag gab es die ersten drei Kammersymphonien zu hören. Die Werke mit den Opuszahlen 145, 147 und 151 sind im letzten Lebensjahrzehnt des Komponisten entstanden, basieren aber auf frühen, unveröffentlichten Streichquartetten. Weinberg beweist sich darin als betörender Harmoniker, als packender Dramatiker und als versierter Techniker: insgesamt also als fesselnder Erzähler bereichernder Gefühlsgeschichten.

Als lichtes, zartes G-Dur-Idyll beginnt der Kopfsatz der ersten, klassizistischen Kammersymphonie, im Andante klagen Geigen über luftigen Pizzicati der tiefen Streicher. Auf ein zauberzartes Allegretto folgt ein effektvoll-vitales Finale. Die Kremerata Baltica musizierte fein ziseliert, an der Grenze zum Putzigen. Mitunter verschwamm der Klang in der watteweichen Akustik ein wenig.

Es folgte Schostakowitschs zweites Klavierkonzert, das dieser seinem Sohn auf die Finger geschrieben hat. Im Kopfsatz verbindet Schostakowitsch motorisches Getriebe mit scherzhaften Elementen, der Pianist hat einen Marathon an Oktavparallelen zu absolvieren. Solist Andrius Zlabys demonstrierte in seiner sorgfältigen Interpretation des Werks große Laufbereitschaft und bot ein weites emotionales Panorama zwischen Zartheit und kraftvoller Attacke. Avancierter, schroffer, unkonventioneller als ihre Vorgängerin dann Weinbergs zweite Kammersymphonie - nicht nur wegen der mit Feingefühl eingebundenen Pauken (famos: Andrei Pushkarev). Eine Trouvaille der zweite Satz, ein Geistermenuett von sanfter Bizarrerie; im multipel-elegischen Finalsatz wird das Kammerorchester wiederholt auf ein Streichquartett heruntergedimmt. Gidon Kremer koordinierte die Sache aus routiniert.

Weinbergs dritte Kammersymphonie wurde dann wieder von Mirga Grazinyte-Tyla geleitet. Die dominierenden langsamen Werkaußenteile präsentierte die Litauerin wie hingehaucht: mit durchsichtig-fahlem, grenzanämischem Ton, sodass sich à la longue leider alles etwas im Sphärischem verlor. Dazu passend machte die Dirigentin Handbewegungen, die in ihrer grazilen Zartheit an die Extraterrestrischen in Mission to Mars erinnerten. Begeisterung im Großen Musikvereinssaal. (Stefan Ender, 15.6.2015)