Griechenland im Euroraum: Wie lange geht das noch gut?

Wien - Es gibt dutzende pathetische Beschreibungen davon, wie heikel die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Geldgebern inzwischen geworden sind. EU-Ratspräsident Donald Tusk warnte diese Woche, dass es "keine Zeit mehr für Spielchen" gebe. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sagte, dass man "Griechenland nicht helfen kann, wenn sich Griechenland nicht selbst helfen will."

Die trefflichste Zusammenfassung der Lage kam aber wie so oft von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker: "Die Kuh muss vom Eis, aber sie rutscht dauernd aus." Offiziell hat Griechenland noch bis Ende Juni Zeit, um eine Staatspleite zu verhindern. Aber was passiert, wenn es keine Einigung gibt, wenn die "Kuh nicht vom Eis" kommt? Ein Überblick zu fünf Problemfeldern:

  • Zu den großen Schwierigkeiten gehört, dass ein Euroaustritt Griechenlands Europas Probleme mit Hellas nicht zum Verschwinden bringen würde, im Gegenteil. Denn auch nach einem Grexit würde Griechenland Teil der EU bleiben. Das Land wäre also weiterhin Teil der politischen Entscheidungsprozesse in Brüssel.
    Niemand in der EU kann Interesse an einem isolierten und angeschlagenen Griechenland haben, weil dies die Union paralysieren könnte. Die meisten sensiblen Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik - Stichwort Ukraine - werden zum Beispiel einstimmig getroffen.
    Doch das Problem reicht tiefer. Angenommen, Griechenland verlässt den Euro: Das Land brauchte dann erst recht Unterstützung, weil sich der Staat Importe (Lebensmittel, Öl) in Devisen nur schwer leisten könnte, wie ein Notenbanker aus einem Euroland sagt. Europa wäre kaum in der Lage, jede Hilfe zu verwehren, "wer will schon ein neues Armenhaus mitten in Europa".

  • Ein Grexit würde wohl dazu führen, dass sich Kapitalverkehrskontrollen in der EU etablieren. Wenn klar wird, dass Athen kein neues Geld bekommt, müsste das Land Überweisungen ins Ausland begrenzen oder verbieten. Andernfalls würden Sparer versuchen, ihre starken Euro rasch noch ins Ausland zu retten, bevor diese in Drachmen zwangskonvertiert werden. Eine eigene nationale Währung würde wohl in kurzer Zeit stark abwerten. Wer in einer solchen Situation über Euro im Ausland verfügt, ist schnell reich.
    Das Problem: Die Kapitalverkehrsfreiheit ist eine der vier Grundfreiheiten in der EU und Basis für den Binnenmarkt. In Zypern sind schon seit zwei Jahren Beschränkungen aufrecht. Kommt ein weiteres EU-Land hinzu, müsste man sich fragen, wie viel Wert die Grundfreiheiten überhaupt haben.

  • Tritt Griechenland aus dem Euro aus, dürften sich die EU-Länder wohl auch von ihren an Athen verliehenen Geldern verabschieden. Fast 200 Milliarden Euro hat Griechenland seit 2010 von seinen Geldgebern aus der Eurozone erhalten. Dass Griechenland diese Schulden mit Drachmen zurückzahlen kann, ist ausgeschlossen.
    Dabei spricht viel dafür, dass auch das derzeitige System eine Show ist: Griechenland soll nach dem Willen seiner Gläubiger bekunden, dass es seine Verbindlichkeiten weiter begleichen will. Auch wenn das vielleicht nie möglich sein wird, weil Hellas komplett überschuldet ist, wird damit der Anschein gewahrt. Kein Politiker in Wien und Berlin muss seinen Wählern erklären, warum die Milliarden in Athen weg sind. Auch für Österreich geht's um viel: Mit 5,86 Milliarden Euro hat sich die Republik an den Hilfen für Hellas beteiligt. Der größte Teil (4,3 Milliarden) wurde über den Eurorettungsschirm vergeben.

  • Unangenehm könnten auch die langfristigen Folgen eines Grexit für die Rest-Eurozone sein. Dabei geht es weniger um die wirtschaftlichen Auswirkungen. Griechenlands wirtschaftliche Bedeutung in der Union ist minimal.
    Aber sehen Investoren, dass Länder die gemeinsame Währung verlassen, wird ein Euroaustritt anderer Staaten immer als Option in ihren Hinterköpfen bleiben, fürchten Politiker und Notenbanker. Aktuell vertrauen Investoren Portugal, Spanien und Italien. Aber was, wenn eine neue Vertrauenskrise ausbricht? Es könnte gut sein, dass dann Beteuerungen, wonach die Eurozone nicht auseinanderfällt, niemand glaubt. Aus Angst vor einer Euroimplosion würden Investoren also Staaten abstrafen. Die Folge wäre, dass eine Krise sich nur mehr schwer eindämmen ließe.

  • Nicht geklärt ist schließlich eine praktische Frage: Wann ist die Deadline für die Verhandlungen? EU-Beamte sprachen bisher von Ende Mai als letzter Möglichkeit, um Griechenland noch retten zu können. Auch im April sahen viele die Pleite kommen. Deadlines machen Druck, das wissen Politiker.

Nächste Woche Donnerstag treffen sich die Eurofinanzminister, für viele ist das die nächste Deadline. Ende Juni wird eine Milliardenzahlung der Griechen an den Währungsfonds (IWF) fällig. Bekommt der IWF sein Geld nicht pünktlich, passiert zunächst real wenig. Für Ratingagenturen sind Schulden bei öffentlichen Organisationen zweitrangig. (szi, sat, 12.6.2015)