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Aus dieser Plazenta soll keine Lasagne, dafür Globuli werden.

Foto: AP Photo/Francisco Kjolseth

Im Internet finden sich manch ungewöhnliche Rezepte: eine Lasagne zum Beispiel, die aus einer gehackten menschlichen Plazenta, zwei Knoblauchzehen, ein wenig Oregano, einer halben Zwiebel und Tomatensauce zubereitet wird. Auch Globuli für Mutter und Kind können aus dem Mutterkuchen hergestellt werden.

Was dahintersteckt: Jenem Organ, das aus Gewebe von Mutter und Kind besteht und das den Embryo im Bauch der Mutter mit Nährstoffen versorgt, wird viel Positives zugeschrieben. Der Verzehr des 500 bis 600 Gramm schweren Mutterkuchens soll beispielsweise Wochenbettdepressionen vorbeugen, die Milchproduktion der Mutter ankurbeln und zu einer stärkeren Beziehung von Mutter und Kind führen. Auch körpereigene schmerzhemmende Substanzen sollen durch den Verzehr verstärkt werden. Den darin enthaltenen Nährstoffen und Hormonen sei Dank.

Und Stars und Sternchen machen es vor. Kourtney Kardashian hat während ihrer letzten Schwangerschaft zumindest laut darüber nachgedacht. Tom Cruise soll vor einigen Jahren gar angekündigt haben, nach der Geburt seiner Tochter Suri nicht nur die Plazenta, sondern auch gleich die Nabelschnur zu verzehren.

Cathrin Winkler ist Hebamme in Graz und begleitet werdende Mütter bei Hausgeburten. Bei ihrer Klientel bemerkt sie zumindest ein wachsendes Interesse an der Plazenta: "Es gibt immer wieder die Frage, was man damit machen kann", berichtet sie. Viele hätten davon gehört, dass der Mutterkuchen gegessen werden kann, und würden sich danach erkundigen.

Plazenta-Partys

Eine ganze Mahlzeit habe zwar noch keine ihrer Patientinnen daraus zubereitet. Es sei aber schon vorgekommen, dass Frauen gleich nach der Geburt ein daumengroßes Stück der rohen Plazenta verspeisen wollten. Vor kurzem erst habe sich eine Frau nach einer Hausgeburt aus Plazenta, Sekt und Früchten einen "Plazentacocktail" angefertigt – von dem übrigens auch ihr Mann gekostet hat. Im Regelfall würde sich das Interesse von Männern aber in Grenzen halten. In Großbritannien gibt es dagegen eigene Plazenta-Partys, bei denen Freunde und Familie auf einen Bissen von der Nachgeburt eingeladen werden.

Vor kurzem wurde zu dem Thema eine Metaanalyse im Fachblatt "Archives of Women's Mental Health" veröffentlicht. Das Ergebnis des Teams rund um Crystal Clark von der Northwestern University in Chicago: Wissenschaftliche Belege für die angeblichen Vorzüge der sogenannten Plazentophagie gibt es keine, manche der 49 untersuchten Studien, die dazu in den letzten Jahrzehnten durchgeführt wurden, haben wissenschaftliche Maßstäbe nicht erfüllt.

Christian Wadsack von der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Medizinischen Universität Graz kritisiert auch, dass viele Studien an Tieren durchgeführt wurden: "Aber die Plazenta einer Ratte oder einer Maus ist morphologisch anders aufgebaut und funktioniert daher auf Zellebene ganz anders aus als die einer Frau."

Spontangeburt oder Kaiserschnitt

Von Verfechtern wird jedoch oft damit argumentiert, dass viele Säugetiere ihre Nachgeburt verzehren. Warum also nicht der Mensch? "Als Naturwissenschafter ziehe ich mich auf so eine Argumentationsschiene nicht zurück – zumal man ja nicht einmal weiß, warum Tiere ihre Plazenta essen", sagt Wadsack.

Aber zurück zum Menschen: Bei der Diskussion rund um die positiven Effekte der Plazentophagie wird laut dem Experten oft die Frage außer Acht gelassen, ob es sich um eine Spontan- oder eine Kaiserschnittgeburt handelt – denn das wiederum beeinflusse etwa die Hormonzusammensetzung, die enthalten ist.

Cathrin Winkler räumt einen gewissen Placebo-Effekt bei Frauen ein, die die Plazenta essen: "Aber wenn es nicht hilft, dann schadet es zumindest nicht." Dem stimmt Wadsack nicht zu: Denn darin stecken auch Bakterien und Viren, selbst Schwermetalle und Umweltgifte werden in dem Organ eingelagert – und im Fall eines Verzehrs zu sich genommen. Bei stillenden Müttern werden diese dann auch an die Kinder weitergegeben.

Ein weiterer Kritikpunkt: Besonders die in der Plazenta enthaltenen Vitamine gehen durch Erhitzen oder Einfrieren verloren – "und vielleicht lösen diese dann im menschlichen Körper sogar oxidativen Stress aus", so Wadsack.

Zerstörte Verbindungen

Der Wunsch, die Plazenta zum Verzehr mit nach Hause zu nehmen, wurde an ihn jedenfalls noch nie herangetragen. Rein rechtlich wäre das natürlich kein Problem: Die Plazenta gehört der Mutter, die frei darüber verfügen kann. Für seine Forschungen im Bereich der Plazentaperfusion benötigt Wadsack also die Einverständniserklärung der Mütter, ihre Plazenta zu verwenden. "Zu 90 Prozent" werde ihm diese auch gegeben. Der Mutterkuchen sei nach wie vor eine "Blackbox", sagt der Wissenschafter – etwa in der Frage, was mit Glukose- oder Lipidmolekülen der Mutter geschieht, die in die Plazenta aufgenommen werden.

Wirklich neu sind die Diskussionen rund um die Plazenta jedenfalls nicht: Bis in die 1980er-Jahre waren Cremes und Salben auf dem Markt erhältlich, die Plazenta enthielten und Hautverjüngung versprachen. Wissenschaftliche Studien dazu gab es aber keine, betont Wadsack. Mit dem Aufkommen von Aids verschwanden die Produkte aus den Regalen.

Nun wird wieder darüber diskutiert: "Ich glaube, dass der Zugang zu alternativer Heilkunde immer mehr nachgefragt wird", sagt Winkler. Weitaus öfter werden Plazentas übrigens eingegraben – und nicht verzehrt: "Viele vergraben die Plazenta im Garten und pflanzen einen Lebensbaum darauf", erzählt die Hebamme. Auch ein Andenken in Form eines Plazentaabdrucks werde immer beliebter: Dafür wird die Plazenta mit Farbe bemalt und auf eine Leinwand gepresst. (Franziska Zoidl, 19.6.2015)