Zumindest hierzulande noch kein Partygesprächsthema: Schönheitschirurgie.

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Es passiert mir immer häufiger und unlängst gerade wieder einmal auf einer Party. Da steht diese Frau mit dem schönsten Kleid und den geilsten Schuhen, auch ihre Handtasche hatte ich gerade in der amerikanischen "Vogue" als "latest and greatest" gesehen. Jedenfalls beginnen wir ganz nett zu reden. Wetter, Kinder und so weiter. Aber dann merke ich, dass ich meine Gesprächspartnerin unverwandt anstarre. Komisch, denke ich, warum mache ich das?

Diese makellose Stirn, die perfekt gepflegte Haut: Hundert Prozent frei von Mitessern. Auch Falten sehe ich keine, dafür diese seltsame Großporigkeit, irgendwie aufgequollen, aber doch auch wieder nicht. Bei jedem Lachen, und ich mache gerne Witze, scheint ihr Gesicht innerlich zu erzittern, wie ein Buschwindröschen kurz nach dem Abpflücken.

Lange Rede, kurzer Sinn: Die Mustererkennung in meinem Gehirn wusste lange vor meinem Bewusstsein, dass mit dem Gesicht meiner Gesprächspartnerin irgendetwas nicht stimmte. Meine grauen Zellen haben schließlich schon abertausende Gesichter als solche erkannt und ihren Ausdruck gedeutet. Doch das hier war anders und der Grund, dass ich meinen Blick nicht abwenden konnte.

Das Werk von Chirurgen

Was ich sah, war nicht wirklich schön, aber wirklich gut gemacht. Da hatten sicherlich viele Schönheitschirurgen gewerkelt. Keine monströs aufgespritzten Lippen, keine zurückgezurrte Haut, zu Schweinsäuglein verkommenen Lider sondern recht nah an der Natur. Schönheitsoperationen sind längst Statussymbole, "in der High-Society in Los Angeles werden alle, die nicht operiert sind, wahrscheinlich schief angeschaut", meinte eine Freundin, der ich von meinem Erlebnis erzählte.

Klar: Ich gebe es zu. Ich habe ein totales Problem mit dem Thema und Mitleid mit allen, die sich so sehr vor dem Altwerden fürchten. Ich unterstelle gestörte Körperwahrnehmung. Bis zu einem gewissen Grad kennt sie jeder: Wer das Gesicht nie in seiner Ganzheit wahrnimmt, sondern die Aufmerksamkeit stets auf die Makel richtet, sieht auch nichts anderes.

Ich unterstelle Schönheitsoperierten zudem Unglück. Man weiß, dass Frauen, die von ihren Männern verlassen wurden, sich besonders bereitwillig unters Messer legen, weil sie der Illusion erliegen, damit noch einmal von Neuem beginnen zu können. Was ihnen da zugutekommen könnte, ist selektive Wahrnehmung von Männern. So gibt es Studien, die zeigen, worauf Männer primär beim Kennenlernen achten. Lippen, Busen, Po. Das ist alles, anscheinend.

Folge von Fadesse

Und drittens: Ich unterstelle Langeweile kombiniert mit Zugzwang. Wer genug Geld und Zeit zur Verfügung hat, will das, was die Freundinnen machen, auch. Schönheitschirurgie ist eine Sache von Mundpropaganda.

All diese Gedanken stürmten plötzlich auf mich ein, während mir meine Gesprächspartnerin ihre Urlaubspläne auseinandersetzte. Sie ist nett und gerade deshalb ärgert mich, dass sie Opfer eines riesigen Geschäftszweiges in der Medizin geworden sind.

Auf jeder Creme, auf jedem Serum steht heute schon Lifiting, Plumping und Filling: Irgendwann, so scheint es, beginnt man tatsächlich zu glauben, dass Verjüngung wirklich möglich ist - und glücklicher macht. Unlängst hörte ich von einem plastischen Chirurgen den schönen Satz sagen: "In keinem anderen Bereich der Medizin sind mir meine Patientinnen so dankbar. Und so treu."

Warum nicht ansprechen

Er sieht es offensichtlich langfristig. Wer einmal mit dem Botoxen und mit den diversen Unterspritzungen beginnt, kann wahrscheinlich niemals mehr aufhören. Ich frage mich, wie das langfristig funktioniert. Die Menschen werden über 80 Jahre alt. Werden eines Tages alternierend zu Hüftoperationen dann immer noch Schönheitsoperationen gemacht werden?

Es gibt aber noch einen Gedanken, der mir auf dieser Party durchs Gehirn blitzte. Warum frage ich sie nicht einfach nach ihren Schönheitsoperationen, thematisiere die Sache so, als würde ich eine neue Haarfarbe bemerken oder die schöne Handtasche loben. Die Frage: "Bei welchem Schönheitschirurgen waren Sie?" wäre ein Eisbrecher.

Aber weil ich meiner Gesprächspartnerin so viel Unglück, so viel Unzufriedenheit und Frustration unterstelle, würde ich es nie wagen. Sich für eine vermeintliche Schönheit operieren zu lassen und darüber ganz offen sprechen, ist zumindest in unseren Breiten noch ein Tabuthema - oder nur mein eigenes Problem? (Karin Pollack, 15.6.2015)