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Das angeschlagene französische Atomunternehmen muss Mitarbeiter abbauen. Das könnte zulasten von Sicherheit und Qualität gehen, warnen Experten.

Foto: Reuters/Benoit Tesier

Paris - Die Halbwertszeit von Ruhm, Prestige und Nationalstolz beträgt 14 Jahre. So lange existiert Areva, der weltgrößte Atomkonzern französischer Bauart, und so lange schon dominiert er - als Einziger - die gesamte Wertschöpfungskette der Branche: Areva fördert in Niger Uran, reichert in La Hague Brennstäbe an und bereitet sie nach dem ersten Gebrauch wieder auf. Dazu bauen und unterhalten seine Ingenieure Kernkraftwerke - derzeit die Hälfte aller 440 Reaktoren auf der ganzen Welt.

Jetzt muss Areva aber in höchster Not zerlegt werden. Seine Schöpferin im Jahre 2001, die ehemalige Mitterrand-Beraterin Anne Lauvergeon, auch "Atomic Anne" genannt, ist bereits entsorgt. Nach dem gigantischen Vorjahresverlust von 4,8 Mrd. Euro (bei einem Umsatz von 8,3 Mrd. Euro) verlieren nun auch 6000 der 44.000 Angestellten ihren Posten. Das Kernmetier, der Reaktorbau und -betrieb, geht an die Konkurrentin, die ebenfalls staatliche Électricité de France (EDF). Areva bleibt nur noch in den Brennstoffbereichen selbstständig.

Rivalität zwischen Areva und EDF

In Frankreich sitzt der Schock tief. Der Energieexperte Thierry Gadault spricht vom "Ende der nuklearen Utopie". Wieder einmal hatten die Atomingenieure die Lage weitgehend verschleiert. Dazu kommt die selbstmörderische Rivalität zwischen Areva und EDF: In Abu Dhabi führte sie zum Verlust eines lukrativen Großauftrages zugunsten der unerfahrenen Südkoreaner. Außerdem verlor Areva nach dem Fukushima-Unglück den ganzen Unterhalt in japanischen Atommeilern.

Schwer lastet der neue Druckwasserreaktor EPR, den Areva in Finnland baut, auf Areva. Sieben Jahre Verzögerung haben die Kosten von drei auf acht Milliarden Euro anschwellen lassen. Am Mittwoch erklärte Verwaltungsratspräsident Philippe Varin bei einer Anhörung vor der französischen Nationalversammlung, der EPR von Olkiluoto sei ein "Damoklesschwert, das seit 2003 über dem Konzern hängt und alle Szenarien gefährdet".

Die EDF baut ihrerseits einen EPR in der Normandie, und auch dort häufen sich die Probleme. Die Stahlhülle des Reaktortanks ist eventuell undicht, wie die französische Nuklearsicherheit im April herausfand. Eine neue Legierung könnte Milliarden kosten. Diese Woche wurde zudem bekannt, dass sich die Sicherheitsventile im Primärkreislauf ungewollt öffnen.

Warnung vor Sparkurs bei nuklearer Sicherheit

Wer meinen würde, die Hiobsbotschaften von der französischen Nuklearfront freuten die Umweltverbände, täuscht sich allerdings. Wie Greenpeace warnt auch der Pariser Energiespezialist Jean-Marie Chevalier vor "Einsparungen bei der nuklearen Sicherheit". Bisher war die Qualität französischer Nuklearprodukte anerkannt. "Die Probleme von Areva können nun das Tor für russische und chinesische Exporteure öffnen", erklärte Antony Froggatt vom Londoner Forschungsbüro Chatham House unlängst.

Der Moskauer Konzern Rosatom beliefert AKW-Käufer im ehemals sowjetischen Einflussgebiet bis nach Ungarn, wobei er sogar die Vorfinanzierung übernimmt. China verkauft seinen Reaktor Hualong-1 von der Türkei über Argentinien bis nach Großbritannien. Schon mehr als die Hälfte der weltweit 66 in Bau befindlichen Atomkraftwerke sind russisch oder chinesisch. (Stefan Brändle aus Paris, 11.6.2015)