Wien – Es wirkt ein bisschen beängstigend. Fettgedruckt, in roten Lettern, steht es auf der Präsentation des EZB-Vizepräsidenten Vítor Constâncio. Der Schattenbankensektor in Europa wächst rapide, Anleihe-, Aktien- und Hedgefonds könnten ins Straucheln geraten und das ganze Finanzsystem in den Abgrund reißen. Die Notenbank setzte mit ihrem Finanzstabilitätsbericht schon im Mai eine Warnung ab.

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Und in der Tat ist erstaunlich, was in der Eurozone gerade vor sich geht. In den vergangenen fünf Jahren ist das von Investmentfonds gemanagte Vermögen um satte 4.000 Milliarden Euro gestiegen, das ist ein Plus von 75 Prozent. Der gesamte Schattenbanksektor hat sich in den vergangenen zehn Jahren, in denen die Zinsen sehr niedrig waren und die Regulierung von Banken stark erhöht wurde, mehr als verdoppelt.

Die gängigste Definition, was so eine Schattenbank überhaupt ist, stammt vom Finanzstabilitätsrat der G20. Wer Einlagen sammelt und sie an Unternehmen weitergibt und investiert, aber nicht wie eine Bank reguliert wird, zählt in seinen Augen als Schattenbank.

Auch die EZB hält sich an diese Definition. Der Anteil der so definierten Schattenbanken am gesamten von Finanzinstituten gehaltenen Vermögen hat sich seit 2009 von 33 Prozent auf 37 Prozent erhöht. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist der Schattenbankensektor der Eurozone laut IWF sogar schon etwas größer als in den USA. Relativ zur Größe des gesamten Bankenapparats – der in der Eurozone viel aufgeblähter ist – ist die Rolle des Sektors im US-Finanzsystem aber dreimal so groß.

Für die EZB ist die steigende Bedeutung des Sektors in der Eurozone jedenfalls Grund zur Sorge: "Die Fähigkeit der Behörden, spezifische Risiken zu überwachen, bleibt begrenzt", heißt es in dem Bericht. Die Überwachung von global tätigen Investmentfonds sei de facto immer noch Aufgabe der nationalen Aufsichten.

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Viel positiver sieht die Entwicklung Nicolas Véron von der Denkfabrik Bruegel, die von Staaten wie Österreich, aber auch von vielen Banken finanziert wird. "Dass wir in der Debatte die Bezeichnung Schattenbanken verwenden, ist erfolgreicher Spin von Banklobbyisten", sagt der Ökonom zum STANDARD.

Alleine dass es den Bericht der EZB über die Rolle von Schattenbanken gebe, zeige schon, dass sie nicht im Schatten agieren würden. Vieles, wie etwa der Handel von Anleihen, könne außerhalb des Bankensektors besser abgewickelt werden, sagt Véron. "Dass Europa weg von Banken kommt, ist eine gute Sache. Eine Lehre aus der Finanzkrise ist, dass das US-System viel widerstandsfähiger war." Die EU-Kommission versucht mit ihrem Projekt einer Kapitalmarktunion selbst, die Rolle von Banken in der Unternehmensfinanzierung zurückzudrängen.

Ganz anders als Verón sieht das Hans-Peter Burghof von der Uni Hohenheim. "Das Finanzsystem verschwindet in der Unsichtbarkeit", sagt der deutsche Finanzwissenschafter. In der Eurozone versuche man Probleme mit Banken "mit schlichter Masse an Regulierung totzuschlagen". Die Konsequenz daraus sei gefährlich.

"Die kleinen Leute tragen die Kosten", sagt Burghof. Wer es sich leisten könne, bringe seine Einlagen aus dem überregulierten Bankensektor heraus. Die große Schere zwischen Arm und Reich in den USA hänge auch damit zusammen. "Europa ist einem PR-Gag der Amerikaner aufgesessen." (Andreas Sator, 11.6.2015)