In der Debatte über TTIP, das umstrittene Freihandels- und Investitionsschutzabkommen der EU mit den USA, haben sich einzelne Abgeordnete und ganze Fraktionen des EU-Parlaments ganz besonders hervorgetan. Kein Wunder: Es geht dabei um viel mehr als nur einen kräftigen Schub für die wechselseitige Öffnung von Märkten und Investitionen. Die geplante Verflechtung von Regeln sowie Handels- und Geldströmen hat Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes, auf die Art, wie die Menschen leben; wie sie mit Arbeit, Umwelt, Energie, Verwaltung umgehen, in was sie investieren; welche Art von künftiger Industrie- und Dienstleistungskultur sich herausbildet.
Aus der Sicht von EU-Mandataren ist es daher nicht nur recht und billig, wenn sie sich schon frühzeitig in Verhandlungen einmischen wollen, die in der Anfangsphase zunächst eigentlich ganz von den Regierungen (bzw. in deren Auftrag von der EU-Kommission) gestaltet werden. Es ist sogar ihre Pflicht bei einer Materie, die heikle demokratiepolitische Fragen aufwirft.
Eine solche präventive "Einmischung" war in Straßburg vorgesehen. Monatelang hatten ein gutes Dutzend Fachausschüsse ihre Einwände und Empfehlungen in den einzelnen Bereichen vorbereitet. Der Bericht des zuständigen Handelsausschusses umfasst 106 Seiten, ein reichhaltiges Stück guter parlamentarischer Arbeit. Der Beschluss einer Resolution an die Regierungen hätte eine schöne Ergänzung, eine deutliche Verbesserung des TTIP-Prozesses insgesamt werden können. Aber dazu kam es nicht, ganz im Gegenteil. Die geplante Demonstration von Entschlossenheit geriet zum parlamentarischen Fiasko.
Die Hauptschuld daran trägt die gespaltene Fraktion der Sozialdemokraten, die für TTIP eintritt, aber bei den umstrittenen Schiedsgerichten für Investoren ein Doppelspiel betrieb. Öffentlich wettern viele Rote - vor allem in Österreich - dagegen, im Handelsausschuss stimmten sie für ein reformiertes Schiedsgericht. Vor der Abstimmung schlossen sich 68 SP-Abgeordnete aber wieder einem Abänderungsantrag von Grünen und Linken an, der das Gegenteil verlangt. Pikant war daran, dass Grüne wie Linksfraktion keinen Hehl draus machten, dass es ihnen darum ging, das gesamte TTIP-Abkommen zu Fall zu bringen, und nicht nur die Schiedsgerichte - alles zum Gaudium der EU-Gegner bei den Rechten. So droht das komplexe Thema TTIP unter die Räder des nackten Populismus zu geraten. (Thomas Mayer, 10.6.2015)