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Bühnenmensch bis zum Ende: James Last bei einem Auftritt im März dieses Jahres in Hamburg.

Foto: APA/EPA/CHRISTIAN CHARISIUS

Florida/Wien - Sein Markenzeichen war, dass man nie genau wusste, warum der Mann eigentlich auf der Bühne stand. James Last dirigierte so minimalistisch wie man sich einen Norddeutschen vorstellen muss, der gerade bei einem Konzert wegen der tollen Musik derart auszuckt, dass es ihn vor Glückseligkeit innerlich fast zerreißt. James Last machte gar nichts. Sagen wir, er macht fast gar nichts. Den Kopf mit dem Drei-Wetter-Taft-Seitenscheitel ein wenig vor- und zurückruckeln, mit den Gummiknien im Zentimeterbereich twisten, die Muskelmasse des rechten Unterarms lockern, bisschen mit den Fingern rumschnippen – und ab und zu auf einen Musiker zeigen: He du da, mach doch mal ein schönes Solo.

Wenn die Bläsersätze besonders schön mehrstimmig spielten, dann konnte man James Last auch dabei erleben, wie er ein wenig unhörbar mitsang oder mit dem Mund "Bah!" oder "Bah-ba-ba!" machte. Ekstase pur. Die Hauptarbeit war zu diesem Zeitpunkt schon getan. James Last war Perfektionist und hatte sein Orchester bei den Proben schon derart gequält, dass live jeder Ton perfekt saß. Wer sich verspielte, der musste wieder zurück in die Studentenkeller und dort den Be-Bopper machen. James Last, das bedeutete nicht nur weltweit perfekt geschmierte Unterhaltungsmusik im Easy-Listening-Bereich. James Last das war auch immer Pensionsvorsorge für hochgradig versierte Jazzmusiker.

All Things Last

Während der 1929 in Bremen als Hans geborene James Last seine Orchester lenkte, merkte man einerseits, dass er seine musikalische Grundausbildung zwar in der Heeresmusikschule Bückeburg erfuhr. Nach der Befreiung 1945 machte sich aber auch James Last locker und wechselte vom Fagott zum Kontrabass. Er wurde zu einem der gefragtesten Jazzmusiker Deutschlands und spielte 1953 gar in einem Ensemble gemeinsam mit zwei anderen großen Namen der deutschen Wirtschaftswunder-Turboblech-Tanzmusik-Klangtapete, dem hessischen Klavierflüsterer Paul Kuhn und dem bayerischen Saxofon-Bezwinger Max Greger.

Schmetternder Sound

Gemeinsam hegten die drei nicht nur eine Liebe zum vor Lebensfreude vibrierenden Jazz aus Übersee, sondern auch zum Klingeln der Deutschmarks in der Kassa. Sie gründeten allesamt Unterhaltungsorchester und regierten jahrzehntelang nicht nur die deutsche Fernsehlandschaft. Sie überzogen das Land auch live mit einem schmetternden Sound, der vor allem in den Bläsersätzen nie verhehlen konnte, dass er zwar präzise wie ein Mercedes vom Fließband in Stuttgart rollte, aber eben auch losplärrte wie ein Fanfaren-Rollkommando aus der deutschen Wochenschau jener Zeit, in der die kleinen brauen Männchen aus dem All kurz auf die Erde kamen, für viel Unheil sorgten und einige Jahre später wieder spurlos verschwanden.

Paul Kuhn war zu melancholisch, Max Greger zu derb. Der um einige Jahre ältere Hamburger Orchesterleiter Bert Kaempfert war das große musikalische, am anfang im Unschärfenbereich 1 : 1 angesiedelte Vorbild. Psst. Nicht weitersagen.

Zum auch weltweit gesehen erfolgreichsten Bandleader aller Zeiten stieg James Last ab den 1960er-Jahren auf. Mit Ausnahme der USA knackte James Last so gut wie jeden Erwachsenenmarkt der Welt. Menschen, denen intensive Musik zu intensiv und Popmusik zu sehr mit Protestpotenzial und sexuellen Glücksversprechungen vollgeräumt war, vertrauten darauf, dass das James-Last-Orchester, dessen Leader bald von den Fans liebevoll "Hansi" gerufen wurde, die Ecken und Kanten rausräumte - und die dunklen Nischen mit Halogen ausleuchtete.

Happy Party Sound

So entstanden über die Jahrzehnte nicht nur die legendären "Nonstop Dancing"- und "Happy Party Sound"-Werke, mit denen James Last müde deutsche Firmen- und Wohnzimmerfeiern mit fröhlich-beschwingter Musik befeuerte. Deutschland machte sich locker. Zur Animation der hüftsteifen Hörer wurden damals unter die Musik Gläserklirren, Lachen und andere ethisch vertretbare Partygeräusche gemischt.

James Last bereiste die Welt. Er brachte Johann Sebastian Bach den Swing bei oder sorgte unter den Röcken der Dudelsackspieler des schottischen Hochlands für etwas menschliche Wärme. Er bereiste die Sowjetunion und jagte die Kalinka durch den Ballsaal, ging mit den Beach Boys in Kalifornien surfen, tanzte auf der Copacabana Samba-Samba heut‘ Nacht, filterte aus Abba den störenden Gesang raus - und verpasste einem Publikum, das es für Klassik immer zu eilig hat, gemeinsam mit Richard Clayderman "Traummelodien" und "Serenaden".

All Things Last

Karibisch, romantisch, Happy Birthday, Christmas, Musical, Happy Lehár, Macarena, Soul, Polka, Voodoo Party, James Last im Allgäu, Russland zwischen Tag und Nacht, ja, sogar eine preisgekrönte Einspielung der von ihm mäßig geschätzten Dreigroschenoper mit Helmut Qualtinger, Franz Josef Degenhardt sowie Zank mit Weill-Witwe Lotte Lenya wegen eines elektrisch verstärkten Basses setzte es. Party, Party. Gute Zeiten, tolle Zeiten. Party, Party. Und wenn die anderen zur Arbeit gingen, dann sagte James gut' Nacht! Hossa, hossa!

James Last war 1977 auch verantwortlich für den globalen Siegeszug des Panflötenspielers Gheorghe Zamfir und dessen Superhit "Einsamer Hirte", der zuletzt im Soundtrack von Quentin Tarantinos "Kill Bill" umging. Das war damals im daheim ständig laufenden Kuchlradio schlimmer als … eigentlich alles. Irgendwann während akut schleichender Altersmilde machte man mit James Last aber seinen Frieden. Über Geschmack lässt sich nicht ewig streiten. Der als bescheiden wie umgänglich geltende Weichspül-Sound-König lebte seit 30 Jahren in Florida. Dort ist James Last nun im Beisein seiner Familie gestorben, nachdem er erst im April eine Tournee beendet hatte, die ihn auch in die wiener Stadthalle führte. James Last wurde 86 Jahre alt. (Christian Schachinger, 10.6.2015)