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Foto: AP Photo/Toby Talbot

Pro
von Birgit Baumann

Klar, wir gehen zum Maturatreffen, was für eine Frage. Zunächst ist das eine lustige Sache, weil man einen skurrilen Alterungsprozess beobachten kann. Die lieben Schulkollegen werden einerseits älter (man selber ja nicht), andererseits scheinen sie wie in einer Zeitblase konserviert zu sein.

Peter, früher Friedensaktivist und mittlerweile hochangesehener Primar, ist immer noch so linkisch wie früher. Bitte, wie absolviert der seine Operationen? Evelyn trägt nach wie vor Perlenkette, aber jetzt kostet diese ein Vermögen und ist nicht mehr aus dem Billig-Schmuck-Geschäft.

Doch es geht natürlich nicht um "Mein Haus, mein Auto, mein Segelboot". So ein Maturatreffen erspart vielmehr die Psychotherapie. Denn: Some things never change. Es hocken wieder die Gleichen beisammen, die das früher schon taten. Die Hierarchie ist weitgehend unverändert. Das zu erkennen ist manchmal genauso schmerzvoll wie vor zehn oder 20 Jahren. Aber jetzt, da wir schon alle groß geworden sind, könnte man sich ja mal fragen: Warum stört mich das eigentlich immer noch, wenn Uli grußlos vorbeigeht?

Kontra
von Ronald Pohl

Das Fünfjährige: verpasst. Offiziell war man auf der Uni, Vorlesungen über Hegel hören. "Die zu sich selbst kommende Vernunft als Bewusstsein ihrer durch sich selbst vermittelten Vernünftigkeit ...": Was für ein Quatsch. Aber man hatte ein schlechtes Gewissen. Ergo trieb man sich in Spelunken herum. Keine Zeit für Maturatreffen.

Beim Zehnjährigen dafür dabei gewesen. Konnte die Schulkollegen ja noch nie leiden. Jetzt aber trugen sie die Mienen von Heiligen zur Schau. Emil absolvierte ein Praktikum als Rachenarzt ("Laryngologe"). "Und, bist du schon auf Gold gestoßen?" Schorsch war Rechtsverdreher. Man selbst gab vor, einer wichtigen Sache auf der Spur zu sein ("Hegels Philosophie gehört komplett neu gedacht ...").

An das Fünfzehnjährige fehlt jede Erinnerung. War wohl mehr feucht als fröhlich. Beim Fünfundzwanzigjährigen die intuitive Erkenntnis: noch einmal Schwein gehabt. Babsi hat heute Arme wie eine Kugelstoßerin. Emil entfernt Kehlkopfkarzinome. Schorsch bot mir an, meine Scheidung durchzubringen. Am Schluss habe ich bitterlich geweint. (RONDO, 12.6.2015)