Wien - Im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft lässt sich eine Doppelbewegung ausmachen: Einerseits rücken durch die Technisierung zunehmend Artefakte der Wissenschaft in die Lebenswelt, andererseits werden Forschung und die daraus resultierenden Anwendungen immer spezialisierter und entziehen sich so zunehmend dem Verständnis der meisten. Angesichts der starken Veränderungen der Lebenswelt durch den wissenschaftlichen Fortschritt hat die Europäische Kommission daher eine Initiative gestartet, die Wissenschaft und Gesellschaft wieder näher zusammenrücken lassen sollen.

Federführend dabei ist ein Konzept, das Responsible Research and Innovation (RRI) genannt wird. 26 Institutionen sind europaweit an dem von der EU geförderten RRI Tools-Projekt beteiligt, bei dem es darum geht, sowohl Wissenschaftern als auch politischen Entscheidungsträgern, Wirtschaftstreibenden und der breiten Bevölkerung Tools zur Verfügung zu stellen, die letztlich zu einer nachhaltigen Forschung beitragen sollen.

Das Vokabular ist dabei nicht unumstritten: So mutet es etwas technokratisch an, von Werkzeugen zu sprechen, wo es darum geht, neue Praktiken zu entwickeln und einen Sinneswandel und Selbstreflexion herbeizuführen. Auch gebe es Kritik, dass "das Konzept irgendwo einmal ausgedacht worden ist, aber ihm noch die Bodenhaftung und die praktische Umsetzung fehlt", sagt die Soziologin Ilse Marschalekvom Zentrum für Soziale Innovation (ZSI), die in Österreich für die Koordination zuständig ist.

Gemeinsame Verantwortung

Wenn Wissenschafter mit RRI konfrontiert werden, komme es nicht selten vor, dass sie sich zunächst angegriffen fühlen und fragen: "Waren wir bis jetzt nicht verantwortungsvoll genug?", berichtetMarschalek, "das ist aber natürlich nicht gemeint, sondern es geht darum, dass die Verantwortung von allen gleichermaßen getragen wird - von Wissenschaftern, Policy Makers und der Wirtschaft."

Nachdem in den letzten eineinhalb Jahren zahlreiche Gespräche und Workshops mit verschiedenen Akteuren stattfanden, geht es im nächsten Schritt um die Entwicklung von Werkzeugen - mit dem Ziel, RRI durchzusetzen. Wie diese genau aussehen werden, sei noch unklar. Denkbar wären etwa Trainingsmaterialien, Kurzvideos, Poster oder Powerpoint-Präsentationen, mit denen das Konzept von RRI vermittelt werden kann und Handlungsanleitungen gegeben werden können, die eigenen Aktivitäten hinsichtlich RRI zu beurteilen. "Letztlich geht es um eine nachhaltige Forschung, um einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft", sagt Marschalek, "eine Bewegung hinaus aus dem Elfenbeinturm, hin zu Science with and for society."

Dabei sei "nicht nur ein Einstellungswandel unter den Forschern erforderlich, sondern es gehe auch darum, die Forschungsförderung zu überdenken", sagt Katharina Handler, die am ZSI ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Es müsse reflektiert werden, wie viel Geld wofür ausgegeben wird und welchen Gesellschaftsgruppen das nützlich ist. "Mit den neuen technischen Möglichkeiten müssen wir auch einen neuen Ansatz in der Reflexion finden, wie diese Technologien von allen akzeptiert werden können", sagt Marschalek.

Warum es gerade jetzt ein gesteigertes Verantwortungsbewusstsein der Wissenschaft brauche, begründet Marschalek mit den veränderten technischen Möglichkeiten: Mit Nanotechnologie bis hin zu Gentechnik verschiebe sich die Grenze, wozu Forschung imstande ist. "Wissenschaft und Technik infiltriert unser Leben immer mehr. Ganz selbstverständlich kommen wir jeden Tag mit Hightech in Berührung. Dementsprechend haben die Leute mehr Interesse und mehr Möglichkeiten, sich zu interessieren und sich zu engagieren", sagt Marschalek.

Neue Initiative

Eine ähnliche Stoßrichtung wie das RRI Tool-Projekt verfolgt die Initiative "Responsible Science - Wissenschaft und Gesellschaft im Dialog" des Wissenschaftsministeriums. Im Sinne einer nachhaltigen Innovationsorientierung soll damit das Interesse der Gesellschaft an Wissenschaft und Forschung gestärkt werden - mit dem Langzeitziel, die überdurchschnittlich wissenschaftsskeptischen Österreicher näher an die Forschung heranzuführen, um sie so dafür zu begeistern. (trat, DER STANDARD, 10.6.2015)