Zwei Forschungsprojekte haben sich zum Ziel gesetzt, Polizisten einem Perspektivenwechsel zu unterziehen. Im Bild: Polizeieinsatz bei der Demo gegen den Akademikerball im Jänner dieses Jahres.

Foto: Plankenauer

Wien - In einer U-Bahn-Station wird ein Passant von einem Suchtkranken angesprochen. Ein Polizist führt darauf eine Personenkontrolle bei dem Abhängigen durch. Fragt man bei Polizisten, Sozialarbeitern oder einfachen Öffi-Benutzern nach, wie sich diese Situation weiterentwickeln könnte, zeigen sich unterschiedliche Erwartungen. Ängste werden offenbar. Angst, dass von dem Suchtkranken eine Bedrohung ausgehen könnte. Angst, dass der Polizist überreagieren könnte.

"Situationen, bei denen die Sicherheit eine Rolle spielt, werden sehr unterschiedlich gesehen. Es geht immer auch um die Frage, wessen Sicherheit gemeint ist", sagt Katharina Miko vom Kompetenzzentrum für empirische Forschungsmethoden der WU Wien, das gemeinsam mit der Forschungseinrichtung "queraum. kultur- & sozialforschung" das Netzwerk Sicherheitsforschung bildet. Im Projekt Polis ("Polizei und Öffentlichkeit: Lehre - Intensivierung - Sicherheit") haben sich die Sozialforscherin und ihre Kollegen gemeinsam mit Polizeischülern mit subjektiven Sicherheitsvorstellungen verschiedener Benutzer des öffentlichen Raums beschäftigt. Im Rahmen ihrer Grundausbildung sollen die jungen Beamten verstehen lernen, dass ihr Blick auf eine Konfliktsituation nur einer von vielen ist.

Macht und Vorurteil

Durch die Vielzahl an Lebensentwürfen, die in einer Stadt aufeinandertreffen, muss sich auch das Selbstverständnis der Polizei ändern. "Im Umgang mit dieser Diversität müssten die Polizisten immer die besseren Menschen sein", sagt Miko. "Wenn Vorurteile am Stammtisch zelebriert werden, kränkt uns das vielleicht. Vorurteile von Angehörigen der Exekutive werden aber zum Problem, weil diese mehr Macht haben." Die Schüler sollen lernen, ihre eigene Rolle als Polizisten in einem von Diversität geprägten Umfeld zu reflektieren.

Das gemeinsame Durchspielen potenzieller Konfliktsituationen ist ein Teil des Projekts. Die Unterrichtsinhalte bauen auf Ergebnissen der Arbeit in Fokusgruppen auf, in denen etwa Polizisten und Sozialarbeiter im Rahmen eines "angeleiteten Rollenwechsels" ihre Positionen vertauschen, um festsitzende Argumentationsmuster aufzubrechen und die bisherigen Zuständigkeiten und Lösungen zu hinterfragen. "Ist die Situation in der U-Bahn überhaupt ein Problem? Wenn ja, für wen? Ab welchem Punkt ist die Polizei zuständig?" - Fragen, die sich die Beteiligten stellen müssen, so Miko.

Wissen und Können

Der methodische Hintergrund liegt im prozessorientierten Lernen, bei dem die Auszubildenden selbstständig und aktiv die Aufarbeitung eines Themas mitgestalten. Nicht nur das notwendige Wissen, auch das entsprechende Können, adäquate Kommunikation bei Konflikten, soll vermittelt werden. Neben Unterrichtsmaterialien werden Empfehlungen erarbeitet, welche soziale und kommunikative Kompetenzen künftige Polizisten mitbringen sollten.

Polis, das noch bis Herbst läuft, baut auf Erkenntnissen des Vorgängerprojekts Parsifal ("Partizipative Sicherheitsforschung in Ausbildung und Lehre in Österreich") auf. Beide Projekte wurden im Rahmen des Förderungsprogramms für Sicherheitsforschung Kiras vom Verkehrsministeriums beauftragt. Bei Parsifal gingen die Sozialforscher gemeinsam mit angehenden Polizei-Führungskräften ins Feld, um auf öffentlichen Plätzen gemeinsam mit ihnen Interviews mit "platzrelevanten Akteuren" zu führen - Jugendlichen, Geschäftsbetreibern, Obdachlosen oder Busfahrern. Auch hier wurden die Polizeibeamten zu einem Perspektivenwechsel angeleitet. "Sie sind zu Co-Researchern geworden. Wir haben gemeinsam reflektiert, wie die Realitäten der verschiedenen Gruppen am Platz aussehen", blickt Miko zurück.

Am Wiener Schwedenplatz beschäftigten sich die Polizisten etwa mit den Alkohol konsumierenden Jugendlichen vor Ort. Im Innsbrucker Rapoldipark konnte im Zuge des Projekts die Kommunikation zwischen Polizisten und Jugendlichen sogar maßgeblich verbessert werden. Unter sozialwissenschaftlicher Anleitung gewannen die künftigen Führungskräfte Einblicke, wie Konflikte entstehen, welche Lösungserwartungen die Beteiligten haben und welche Missverständnisse es gibt.

Wird die Bewusstseinsbildung bei der Polizei spürbare Auswirkungen zeigen? Miko: "Es gibt einen Generationswechsel in der Polizei, der die Basis für derartige Projekte legt. Wenn es eine Messerstecherei gibt, braucht man über die Funktion der Polizei nicht zu diskutieren. Aber wenn es um Auftreten und Kommunikation geht, wünsche ich mir, dass das, was wir erarbeitet haben, auch auf der Straße ankommt." (Alois Pumhösel, 14.6.2015)