Wien - Mitgefühl für andere hängt unter anderem auch davon ab, wie man selbst Schmerzen wahrnimmt. Ist man unempfindlicher, ist man mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gegenüber seinen Mitmenschen weniger empathisch. Zu diesem Schluss kommen Forscher der Universität Wien rund um den Neuropsychologen Claus Lamm. Sie beobachteten den Effekt bei einer Placebo-Studie, die sie im "Journal of Neuroscience" veröffentlichten: Wer meinte, ein Schmerzmittel erhalten zu haben, war weniger mitfühlend, wenn er Schmerzen bei anderen beobachtete.

"Wir konnten erstmals spezifisch den neuronalen Mechanismus zeigen, mit dem Schmerzempfindung und Empathie für Schmerz zusammenhängen", erklärte Lamm. Die eigene Schmerzerfahrung stellt für das Gehirn offenbar die Grundlage dar, um Mitgefühl empfinden zu können. Ist diese Erfahrung durch eine Veränderung des Opiat-Haushalts herabgesetzt, werden die Schmerzen anderer als weniger stark eingestuft und das Beobachten als weniger unangenehm empfunden.

Elektroschocks für Studienteilnehmer

Sowohl die Studienteilnehmer als auch die beobachtete Person erhielten kurze Elektroschock-Impulse, entweder mit oder ohne Schmerz-Kontrolle. Dabei benutzten die Forscher gar keine echten Schmerzmittel - sondern nur Placebos, die allerdings nachweislich die Schmerzaktivität des Gehirns herabsetzen. "Sie reduzieren den empfundenen Schmerz über die Ausschüttung körpereigener Opiate", so Lamm. "Die Annahme ist, dass der Effekt auch bei echten Schmerzmitteln auftritt, denn Morphin wirkt auf eine ähnliche Weise."

Echte Schmerzmittel mit Suchtpotenzial wurden aufgrund ethischer Bedenken nicht eingesetzt. Um den Effekt sicher auch darauf übertragen zu können, wären also weitere Studien nötig. "Das wäre dann auch für den klinischen Bereich interessant", so Lamm. Denn bisher wird nicht untersucht, ob etwa Patienten, die aufgrund chronischer Schmerzen längerfristig entsprechende Medikamente nehmen, auch eine reduzierte Reaktion auf den Schmerz anderer aufweisen.

Empathie und Schmerzempfinden im gleichen Gehirnareal lokalisiert

Bei der Erforschung des offenbar engen neuronalen Zusammenhangs von eigener Empfindung und Empathie ist man mit der aktuellen Studie jedenfalls einen großen Schritt weiter - schon bisher wusste man, dass bei eigenem und fremdem Schmerz die gleichen Areale im Gehirn aktiviert werden. "Nun kennen wir mit größerer Sicherheit den kausalen Mechanismus und haben stärkere Belege dafür, dass teilweise die gleiche neuronale Funktion betroffen ist." Schon bald will das Team um Lamm den nächsten Schritt publizieren: Wenn der Placebo-Effekt durch eine pharmakologische Substanz blockiert wird, ist die Empathie wiederhergestellt. (APA, red, 14.6.2015)