Wien/Bern - Die Schweizer Bevölkerung stimmt am Sonntag über ein neues Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) und damit über einen Systemwechsel bei den Rundfunkgebühren ab. Worum es dabei geht erklärt Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sowie Präsident der Bildungskommission in der öffentlich-rechtlichen SRG Trägerschaft, im APA-Interview.

APA: Worum geht es bei der Abstimmung über das neue Radio- und Fernsehgesetz?

Wyss: Heute müssen in der Schweiz Haushalte und Unternehmen, die über ein betriebsbereites Gerät für Radio oder Fernsehen verfügen, eine Empfangsgebühr bezahlen, mit welcher der öffentliche Rundfunk in vier Sprachregionen sowie 21 Radio- und 13 Fernsehstationen mit lokalem Service-public-Auftrag unterstützt werden. Mit der Reform des Gesetzes soll die bisherige geräteabhängige Empfangsgebühr durch eine allgemeine Abgabe ersetzt werden, wodurch die Abgabe für Private von 462 auf circa 400 Franken gesenkt würde. Für Unternehmen soll die Höhe der Abgabe vom Umsatz abhängen, wobei neu drei Viertel aller Unternehmen keine Abgabe mehr leisten müssten.

APA: Nun wird aber offenbar über Fragen, nämlich den öffentlich-rechtlichen Auftrag der SRG und das Programm der SRG diskutiert, um die es am 14. Juni gar nicht geht ...

Wyss: Die Gegner der Reform stören sich unter anderem daran, dass neu alle bezahlen müssen - egal ob jemand ein Empfangsgerät hat und ob er Radio und TV konsumiert. Für sie ist die Abgabe eine "Mediensteuer", die alle zu entrichten haben, ohne dass vorher eine Grundsatzdebatte darüber geführt worden sei, worin eigentlich der Leistungsauftrag für Service-public Anbieter bestehen solle. Damit wird natürlich die Debatte über den Systemwechsel mit einer Grundsatzdebatte zur Leistungsfähigkeit insbesondere der SRGgekoppelt.

APA: Kritikpunkte der Gegner sind, die SRG zeige zu viel Unterhaltung, sei zu kommerziell, generell zu teuer und behindere private Medienunternehmen in ihrer Entwicklung ...

Wyss: Tatsächlich gibt es viele Fragen, die noch zu diskutieren sind, wenn man öffentlich über den Leistungsauftrag der SRG und nota bene auch der meisten privaten Programmveranstalter sprechen will. Manche stoßen sich an den Fußball-Übertragungen, andere an den US-Serien. Wieder andere finden, dass sich die SRG quasi als Reparaturwerkstätte auf den Informationsauftrag oder auf das beschränken soll, was aufgrund des Marktversagens übrig bleibt. Dabei wird gerne übersehen, dass die Schweizer Regierung bereits eine "Eidgenössische Medienkommission" eingesetzt hat, welche einen Vorschlag zum Verständnis des Service-public vorlegen soll, der dann wiederum einer breiten öffentlichen Debatte zuzuführen ist. Eine solche Grundsatzdebatte braucht aber Zeit und sollte meines Erachtens nicht im gleichen Atemzug mit einer Kosmetikdiskussion zum Gebührenmodell geführt werden.

APA: Was tut die SRG für den Service public und wie gut erfüllt die SRG ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag?

Wyss: Weitgehend unwidersprochen ist meines Erachtens die Erwartung, dass die SRG den Finanzausgleich zwischen den Sprachregionen organisiert und es gibt die Hoffnung, dass sie mit ihren Programmen zur Verständigung zwischen den Landesteilen beiträgt. Es dürfte auch klar sein, dass kein privater Sender ein Wissenschaftsmagazin, einen rechercheintensiven Dokumentarfilm oder einen hintergründigen Wirtschaftstalk zur besten Sendezeit ausstrahlen wird. Das Bundesamt für Kommunikation lässt regelmäßig Studien durchführen, welche die Qualität der Programme der SRG, aber auch diejenigen der privaten Anbieter vor dem Hintergrund des bestehenden Leistungsauftrags analysieren. Es werden auch Publikumsbefragungen gemacht. Vergleichende Qualitätsmessungen werden zudem in dem an der Universität Zürich herausgegebenen Jahrbuch "Qualität derMedien" veröffentlicht. Insgesamt wird in diesen durchaus kritischen Studien der SRG ein gutes Zeugnis ausgestellt. Diese Studien hinterfragen aber natürlich nicht den in derDebatte jetzt zum Teil infrage gestellten breiten Leistungsauftrag. Solche Schriften gibt es aber auch. So ist just vor der Abstimmung das Buch "Weniger Staat, mehr Fernsehen" erschienen, in welchem sich auch explizit SRG-kritische Beiträge versammeln.

APA: Findet da auch eine parteipolitische Auseinandersetzung um die SRG statt? Im Herbst gibt es ja Wahlen in der Schweiz ...

Wyss: Der Zeitpunkt der Abstimmung über die neue Gebührenordnung ist in vielerlei Hinsicht ungünstig. Tatsächlich ist kaum zu verhindern, dass sich Politiker individuelle Vorteile versprechen. So wird gerade dem Wortführer der Gegner, dem Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes nachgesagt, er würde sich mit der viel diskutierten Abstimmung primär im Hinblick auf seinen ersehnten Sprung ins eidgenössische Parlament profilieren wollen.

APA: Auffallend ist, dass die Tagespresse rund um die Abstimmung überwiegend negativ über die SRG berichtet ...

Wyss: Auch das wird wissenschaftlich untersucht und da möchte ich dem abschließenden Bericht des fög - Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich nicht vorgreifen. In seinem Zwischenbericht rund zwei Wochen vor der Abstimmung hat das Institut jedoch feststellen wollen, dass Pro-Stimmen generell weniger Gehör erhalten haben sollen. Dies gälte vor allem für Medienorganisationen, die sich in starker - wirtschaftlicher oder weltanschaulicher - Konkurrenz zur SRG sehen würden. Gesamthaft sei die aktuelle Medienberichterstattung durch eine Einseitigkeit zuungunsten der Vorlage charakterisiert.

APA: Die privaten Rundfunkveranstalter sind hingegen für die Initiative. Warum?

Wyss: Der Systemwechsel dient ja nicht dazu, den Gesamtertrag insgesamt zu erhöhen. Jedoch soll der Anteil an der Abgabe erhöht werden, welchen private Radio- und Fernsehstationen für die Erfüllung ihres Service-public-Auftrags erhalten. Diese sollen mit der neuen Gebührenordnung mehr Geld für die Aus- und Weiterbildung sowie für dieDigitalisierung erhalten. Die RTVG-Revision sieht vor, dass die lokalen Radio- und Fernsehstationen mit einem Service public-Auftrag 4 bis 6 Prozent des Gesamtertrages erhalten. Bisher lag dieser Anteil bei fix 4 Prozent. Somit könnte die Unterstützung von heute 54 Mio. Franken auf bis zu 81 Mio. Franken pro Jahr ausgebaut werden.

APA: Wie wird die Abstimmung ausgehen, wie sehen die letzten Umfragen aus?

Wyss: Bislang haben die unterschiedlichen Umfragen stark divergiert. Kurzentschlossene werden wohl den Ausschlag geben. Man muss also mit den Ergebnissen vorsichtig umgehen. Bei der jüngsten Umfrage der Meinungsforscher des Instituts gfs.bern deuten die Zeichen derzeit auf ein Nein hin. Die Gegner liegen mit 47 Prozent gegenüber den Befürwortern mit 43 Prozent leicht vorne. Allerdings haben 10 Prozent der Befragten ihre Meinung noch nicht gemacht. Es zeichnet sich aber jetzt schon ein sogenannter Röstigraben ab: Während die Vorlage laut Umfragen in der französisch- und der italienischsprachigen Schweiz eine Mehrheit findet, wird sie in der Deutschschweiz abgelehnt.

APA: Welche Folgen wird es für die SRG haben, sollte die Abstimmung schiefgehen?

Wyss: Die SRG hat ihren Schaden schon. Sie hat bereits im Abstimmungskampf einen deutlichen "Schuss vor den Bug" erhalten. Die in den Kommentarspalten der Medien zuweilen gehässig geführte Debatte hat deutlich gemacht, dass die Abstimmung von vielen auch dazu benützt werden wird, der SRG einen Denkzettel zu verpassen. Formal ändert sich aber für den öffentlichen Rundfunk bei einer Ablehnung nichts. Man kann sagen: Mit der Ablehnung der Gesetzesrevision wäre nichts gewonnen. Die SRG hätte nicht weniger Geld und die Haushalte müssten weiterhin 465 Franken zahlen. Die Verlierer wären aber private Programmveranstalter, welche wohl kaum in der Lage sind, die für den Technologiewandel benötigten Mittel selbst anständig aus dem Markt zu beschaffen. (Johannes Bruckenberger/APA, 9.6.2015)