Wenn Van Morrison zum Saxofon greift, läuten beim Publikum bisweilen die Alarmglocken. Schließlich kommen die meisten, um einen der größten weißen Soul-Sänger aller Zeiten, nicht um dahin plätschernden Lounge-Jazz zu hören. Bei seinem jüngsten Wien-Auftritt serviert der Nebenbeisaxofonist mit "Celtic Swing" zunächst einmal ein freundlich akklamiertes Instrumentalstück, bei "Close Enough for Jazz" begnügt er sich mit dem Intro, bevor der Sänger zum Zug kommt. Beim dritten Stück, "By His Grace", kann dankbar Entwarnung gegeben werden.
Spätestens hier wird klar, dass Morrison sich und seine Band einer Entschlackungskur unterzogen hat. Ohne fixen Bläsersatz, begleitet von einer vierköpfigen Band mit Bass, Schlagzeug, Gitarre, Keyboards und einer Background-Sängerin, ist unüberhörbar, dass sich der 69-Jährige in bewundernswürdiger stimmlicher Hochform befindet. Was die gedrungene Gestalt mit Hut und Sonnebrille an Kilos verloren hat, hat die Stimme an Nachdruck gewonnen. Mit "Carrying the Torch" vom 1991er-Album "Hymns to the Silence" im Duett mit Dana Masters kommen erste Gänsehautmomente auf.
Celtic Soul statt Blues
Die zwölftaktigen Blues-Routinen, in denen es sich Morrison auf Alben wie Konzerten in den letzten Jahren leider allzu gemütlich gemacht hatte, blieben erfreulicherweise weitgehend außen vor. Wenn der Blues ins Spiel kam, dann vorzugsweise in einer schärferen Variante, als Verbeugung vor den eigenen R&B-Wurzeln mit Big Joe Williams' "Baby Please Don't Go", das seiner ersten Gruppe Them einen frühen Hit bescherte, oder Sonny Boy Williamsons "Help Me".
Ohne ein aktuelles Album mit neuen Songs im Gepäck – das heuer erschienene "Duets: Re-Working the Catalogue" brachte dem Titel gemäß partnerschaftliche Remakes früherer Großtaten – verlegte sich Morrison auch in Wien auf einen Querschnitt durch seinen gewaltigen Song-Katalog. Vom Them-Klassiker "Here Comes the Night", dem unvermeidlichen, durch elastische Phrasierungen aufgefrischten "Brown Eyed Girl", über frühe Klassiker wie "Wild Night" und "Moondance" bis zu "Did Ye Get Healed", "Enlightenment" und "Days Like This" führte Van "the Man" vor, was seinen Celtic Soul, seine mit einem Schuss Mystik versetzte Mischung aus Folk, Blues, Jazz und R&B so einzigartig macht.
Statt sich an eine fixe Setlist zu halten, schreit Morrison die ihm gerade in den Sinn kommenden Songtitel gerne einem seiner Bandknechte ins Gesicht oder dirigiert sie mitten im Song auf ein anderes Instrument um. Ein bisschen Spannung muss sein! Mit der Hand angedeutete Snare-Drum-Akzente für den Schlagzeuger – tschack! – waren so ziemlich das dramatischste an Show-Elementen, was auf der vom Song-Contest-Bombast rückgebauten Stadthallenbühne zu erleben war.
Gospel-Emphase als Höhepunkt
Wünschte man sich die in der ersten Halbzeit etwas verhalten agierenden Begleiter in einem intimeren Setting als der mit Vorhängen verkleinerten großen Stadthalle zu sehen und hören, kamen Morrison und Band mit einer furiosen Version von "Tore Down a la Rimbaud" so richtig in die Gänge. Kurz vor dem Ende dann mit einer Marathon-Performance von "In the Afternoon und Raincheck" der absolute Höhepunkt: Angestrahlt von einem einzelnen Spotlight steigert sich der Soul-Schamane in eine gesangliche Ekstase, in der man seine berühmt-repetitiven „blablablablas“ ebenso als letzte Wahrheit bezeugen würde wie eine vorgesungene Telefonbuchseite. Darauf gelingt es, die Gospel-Emphase nahtlos in ein aufgewecktes "Whenever God Shines a Light" zu überführen.
Ziemlich genau eineinhalb Stunden nach Konzertbeginn – diese Dauer hat Morrison wohl mittlerweile auch ohne am Bühnenrand sichtbare Uhr verinnerlicht – dann sein unsterbliches Geschenk an den Garagen-Rock: "Gloria", bei dem es das Publikum nicht mehr auf den Sesseln hält. Als die Hallen-Security überwunden und der Bühnenrand erreicht ist, ist der Belfast Cowboy bereits entschwunden. Here Comes the Night ... (Karl Gedlicka, 9.6.2015)