Gliedmaßen aus der Petrischale? Bis dahin ist es noch ein weiter weg.

Foto: Ott Lab/ Massachusetts General Hospital

Boston - Wissenschafter um den gebürtigen Tiroler Harald Ott vom Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston berichten von einem Durchbruch: Ihnen ist es gelungen, eine künstliche Rattenpfote in einem Nährmedium wachsen lassen. Die Pfote habe ein funktionierendes Gefäß- und Muskelgewebe und sei ein Schritt hin zur Herstellung von Ersatzgliedmaßen auch für Menschen, so die Forscher.

Denn sie wollen mit ihrer Arbeit nachgewiesen haben, dass die Methode prinzipiell auch bei Primaten angewendet werden könne. Künstliche Arme oder Beine für den Menschen sind damit allerdings noch lange nicht in Sicht.

Die Forscher hatten mit einem speziellen Lösungsmittel in einem aufwendigen Prozess alle lebenden Zellen von der amputierten Pfote einer Ratte gelöst, berichten sie im Fachjournal "Biomaterials". Nur die Grundstrukturen seien erhalten geblieben. Dann hätten sie die einzelnen Teile wieder mit lebenden Zellen eines anderen Tieres besetzt.

Zweiwöchiger Prozess

In den folgenden Tagen seien die einzelnen Gewebe, Muskeln und Adern wieder herangewachsen. Bei den Muskeln sei das Zellwachstum zusätzlich durch elektrische Stimulation angeregt worden. Insgesamt dauerte der Prozess nach Angaben der Forscher zwei Wochen.

Der große Vorteil des Verfahrens basiere darauf, dass die Immunreaktion nach einer Transplantation sehr gering ausfalle, weil das transplantierte Organ mit den eigenen Zellen besiedelt wurde. Funktionstests hätten gezeigt, dass die Muskeln der künstlichen Pfote auf elektrische Stimulation mit Kontraktionen reagierten, so die Wissenschafter. Ihre Kraft habe etwa 80 Prozent der von Muskeln einer neugeborenen Ratte erreicht.

Ungelöste Schwierigkeiten

Nach der selben Methode - Entfernung aller Zellen eines Spenderorgans und Besiedelung mit lebenden Zellen - seien schon Nieren, Lebern, Herzen und Lungen von Tieren geschaffen worden. Gliedmaßen seien aber viel komplexer. In einem weiteren Versuch seien bei einem Unterarm eines Pavians alle Zellen entfernt und mit der Neubesiedlung begonnen worden, so die Forscher. Die bisherigen Ergebnisse nährten zwar die Hoffnung, so irgendwann auch beim Menschen Gliedmaßen ersetzen zu können. Der Aufbau der Nerven bleibe aber eine große - und bisher ungelöste - Herausforderung.

Den Medizinern zufolge leben allein in den USA mehr als 1,5 Millionen Menschen mit fehlenden Gliedmaßen. Trotz großer Fortschritte bei den Prothesen sei dies eine Belastung für das tägliche Leben. "Die komplexe Natur unserer Gliedmaßen macht es zu einer großen Herausforderung, sie zu ersetzen", sagt Ott. "Sie bestehen aus Muskeln, Knochen, Knorpel, Sehnen, Bändern und Nerven - alles muss aufgebaut werden und alles bedarf einer bestimmten Grundstruktur." Sein Team habe nun bewiesen, dass diese Struktur erhalten und mit neuem Gewebe versehen werden kann.

Spender-Dilemma

Wirklich neu sei der Ansatz nicht, sagte Raymund Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen. Eine solche Dezellularisierung und Repopularisierung sei auch schon mit anderen Geweben wie Herz und Trachea gemacht worden, habe aber bisher dennoch keinen Einzug in die klinische Anwendung gefunden.

"Es ist aber ein interessanter Ansatz, weil man letztlich doch die Natur braucht, um ein optimales Stützgerüst zu haben, welches dann durch Dezellularisieren wieder lebendig gemacht werden soll", so Horch. "Das eigentliche Anliegen, nämlich einmal ganze Organe zu züchten, wird damit nicht wirklich gelöst." Selbst wenn bei dem Ansatz künftig einmal alles gut funktionieren sollte, werde immer noch ein Spenderorgan benötigt. "Das ist aber das Problem bei der initialen Idee des Tissue Engineering gewesen: Man wollte eben gerade den Mangel an Spenderorganen umgehen." (APA, red, 9.6.2015)