Steuern für Tote einzutreiben macht Spaß: Die Moskauer Inszenierung von "Tote Seelen" (Gogol-Zentrum) war jüngst in Wien zu Gast.

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Chef des Gogol-Zentrums Moskau: Kirill Serebrennikow.

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Während Kirill Serebrennikow Mitte Mai im Wiener Volkstheater noch an seinem Tote Seelen-Gastspiel für die Festwochen arbeitete, wurde - so meinte der Theaterregisseur - im heimatlichen Moskau an einer ganz anderen Produktion gefeilt: "Den falsch-freundlichen Anrufen von Journalisten staatlicher Fernsehsender nach zu urteilen, die sich für unsere Auftritte im Ausland ,interessieren', steht eine weitere Provokation gegen mich und das Theater bevor", schrieb Serebrennikow auf Facebook.

Die "weitere Provokation" blieb einstweilen zwar aus - in den Monaten zuvor hatten rechtsradikale Aktivisten wiederholt gegen das Gogol-Zentrum demonstriert, das unter Serebrennikows Leitung zu einem Theater-Hotspot Moskaus avanciert war.

Das Gogol-Zentrum ist nicht die einzige Theaterinstitution in Russland, die derzeit unter Druck steht: 2015 droht als jenes Jahr in die russische Kulturgeschichte einzugehen, in dem eine Koalition aus Rechtsradikalen, kremlnahen Politikern und Sicherheitsbehörden den Versuch unternimmt, eine zuletzt zunehmend lebendige russische Theaterszene ideologisch und letztlich auch ästhetisch auf Linie zu bringen.

Abgesehen von demonstrierenden Rechtsextremen avancierte in den vergangenen Monaten insbesondere das Kulturministerium zur treibenden Kraft. Bereits im März hatte der für seine extrem rechtskonservativen Einstellungen bekannte Kulturminister Wladimir Medinski den renommierten Direktor des Nowosibirsker Operntheaters, Boris Mesdritsch, gefeuert. Dieser hatte eine zeitgenössische Inszenierung von Richard Wagners Tannhäuser zugelassen. Nachfolger Wladimir Kechman, ein kremlnaher Bananenimporteur, strich Tannhäuser sofort aus dem Repertoire. Unter Androhung rechtlicher Schritte verhinderte Kechman zudem eine im Gogol-Zentrum geplante Vorführung der Videoaufzeichnung dieses Tannhäusers.

Finanzierung gestoppt

Das Ministerium stoppte auch die Finanzierung von Teatr, einem der traditionsreichsten und wichtigsten russischen Fachmedien zum zeitgenössischen Theaterschaffen. "Nach einer Ausgabe zum aktuellen ukrainischen Theater wurden Denunziationsschreiben gegen uns verfasst, die zu dieser Entscheidung führten", so Teatr-Redakteurin Alla Schenderowa zum Standard.

Mit einem Angriff gegen "Goldene Maske", eines der wichtigsten Theaterfestivals des Landes, hat die Kampagne des Kulturministeriums Ende Mai ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Dieses Festival würde, so erklärte Vizekulturminister Wladimir Aristarchow, systematisch jene Produktionen unterstützen, die Elemente von Russophobie beinhalteten und die Geschichte Russlands verachteten. Unter dem Vorwand des Rechts auf Interpretation würde, so klagte Aristarchow, die russische Klassik auf niedere Instinkte reduziert. Er spielte auf die bei dem diesjährigen Festivals gezeigte Brüder Karamasow-Inszenierung von Starregisseur Konstantin Bogomolow an, die in einem europäischen Kontext aber keineswegs als äußerst gewagt gelten kann.

Die "Goldene Maske" dürfe nicht mehr vom Staat finanziert werden, fordert der Spitzenbürokrat. Bei den Aussagen handle es sich, so erklärt das Kulturministerium auf Standard-Nachfrage, um die "Privatmeinung" des Vizeministers. An einer offiziellen Position werde noch gearbeitet.

Dass es in der aktuellen Konfrontation nicht mehr nur um kulturpolitische Subventionsfragen geht, zeigt jedoch das Beispiel des privat finanzierten Teatr.doc. Unter dem fragwürdigen Vorwand einer Bombendrohung war die Polizei Ende 2014 gegen dieses Offtheater vorgegangen, parallel dazu wurde es von der Moskauer Stadtverwaltung aus seinen angestammten Räumlichkeiten geworfen, der STANDARD berichtete.

Dieser Tage wurde bekannt, dass Teatr.doc nun auch jenen Standort verlassen muss, der erst in den vergangenen Monaten aufwendig renoviert worden war. Das Anfang Mai uraufgeführte Stück Causa Sumpfplatz, das sich mit politisch motivierter Justiz und ihren Auswirkungen auf betroffene Angehörige beschäftigt, führte zu massiven Einschüchterungsversuchen durch Extremismusbekämpfer, Feuerpolizisten, Geheimdienstler und Staatsanwälte.

Dem Vermieter wurde der Druck zu groß - er kündigte dem Theater. Am vorvergangenen Freitag wurde Teatr.doc-Chefin Jelena Gremina ein erstes Mal von der Staatsanwaltschaft einvernommen. Sie vermutet, dass die Behörden ein Verbot ihres Theaters anstreben. (Herwig G. Höller, 8.6.2015)