Die Freiheiten des Tanzes stellen sich ein, wenn die technischen Fähigkeiten wachsen: Bettina Blümners Dokumentarfilm "Parcours d'amour" begleitet seine betagten Protagonisten durch die Freuden gemeinsamer Drehungen.

Foto: Filmdelights

Trailer zu "Parcour d'amour".

Neue Visionen Filmverleih

Wien - Tanzen hält erstens jung und bringt zweitens die Leute zusammen. Das ist natürlich ein Klischee, denn die zwischenmenschliche Kommunikation auf hormonspiegelglatter sozialer Tanzfläche kann auch enttäuschend sein. Für ihren neuen Film Parcours d'amour hat die deutsche Regisseurin Bettina Blümner in Paris drei ältere Herren und zwei reifere Damen begleitet, die beim Tanzen Gesellschaft suchen und finden.

Blümner war bereits 2007 mit ihrer melancholischen Girlie-Studie Prinzessinnenbad erfolgreich, hat danach die Verfilmung von Alicia Bronskys Bestseller Scherbenpark vorgelegt und ist vor zwei Jahren mit dem Migrantenreport Halbmondwahrheiten wieder zum Dokumentationsformat zurückgekehrt. Parcours d'amour hat in Stil und Methode zwar deutliche Ähnlichkeiten mit Prinzessinnenbad, doch die 40-jährige Regisseurin konnte sich hier in ihrer Sensibilität und Eindringlichkeit noch steigern.

In seinen Roman Jedermann schrieb der US-amerikanische Schriftsteller Philip Roth vor zehn Jahren als 73-Jähriger den Satz: "Alter ist ein Massaker." Im Gegensatz zu dieser abgeklärt harschen Feststellung sucht Blümner den späten Jahren positive Aspekte abzugewinnen. Weil sie aber trotzdem nicht beschönigend vorgeht, legt sie auch manche Hintergründe frei, die Roths Diktum durchaus bestätigen.

Die offenherzigen Protagonistinnen von Prinzessinnenbad hatten das so aufgeputschte wie öde Inferno im Übergang zum Erwachsensein deutlich gemacht. In Parcours d'amour ist zu sehen, wie Christiane und Michelle sowie Gino, Eugène und Michel in ihren Tanzcafés, unterwegs und zu Hause das Roth'sche Massaker hinauszuzögern und erträglich zu machen versuchen. Sie lassen sich nicht gehen, sondern unternehmen etwas gegen die Folgen der Enttäuschungen in ihren Leben, gegen drohende Vereinsamung, körperliche Veränderung und Krankheit.

Ohne Liebesabenteuer

Sie tun, was sie können. Mit Paso Doble, Tango oder Walzer erleben sie an- oder gar aufregende Momente - wenn nötig, auch gegen Bezahlung, wovon wiederum der soignierte und versierte Taxi-Tänzer Michel profitiert. Der ist ein Profi, und er macht den Damen, die ihn stundenweise als Partner fürs Parkett mieten, klar, dass er für Liebesabenteuer nicht zu haben ist. Das sorgt bei seinen alleinstehenden Klientinnen dann doch für die eine oder andere Aufwallung.

Den Jüngeren dienen Social Dance oder Clubdance zur Selbstdarstellung und Anbahnung. Die wenigen dafür nötigen Bewegungsmuster werden so spielerisch gelernt wie das Bedienen eines Mobiltelefons. Der traditionelle Gesellschaftstanz dagegen ist geregelter, disziplinierter. Die Tanzpartner gewinnen darin ihre potenziellen Freiheiten erst, wenn sie technisch richtig gut sind. Und weil man da tatsächlich miteinander auf Tuchfühlung geht, braucht es auch eine bestimmte soziale Kompetenz, um das Spiel mit den Reizen und Grenzen der Intimität genießen zu können.

Parcours d'amour ist ein Film über die Lasten beinahe zu Ende gelebter Biografien, über Umstände, die das Alter zum Massaker machen können, und über die kleinen Tröstungen des Gesellschaftstanzes. Für diese Ambivalenzen hätte Bettina Blümner, deren Kamera (Mathias Schnöningh, Axel Schneppat) oft allzu nahe an ihren Heldinnen und Helden klebt, lediglich etwas distanziertere, kühlere Bilder finden sollen. (Helmut Ploebst, 9.6.2015)