Wien – Er ist der höchste Wissenschaftsförderpreis in Österreich und wird gern als "Austro-Nobelpreis" bezeichnet. Doch zwischen dem Wittgenstein-Preis und dem Nobelpreis gibt es nicht nur einen kleinen Unterschied, was das Renommee betrifft. Zwar ist der Wittgenstein-Preis mit 1,6 Millionen Euro besser dotiert, doch das gesamte Geld muss wieder in die Forschung gesteckt werden. Er ist damit zugleich auch eine Form der Spitzenforschungsförderung.
2015 geht der seit genau 20 Jahren existierende Preis wieder einmal an die Geisteswissenschaft und an eine Frau: Gewinnerin ist die aus Deutschland stammende Byzantinistin Claudia Rapp, die nach 17 Jahren an der University of California in Los Angeles (UCLA) seit 2011 an der Universität Wien lehrt und forscht. Die Auszeichnung wurde Montagabend in Wien gemeinsam mit den mit jeweils bis zu 1,2 Millionen Euro dotierten Start-Preisen an acht Nachwuchsforscher verliehen.
Seit 2011 in Wien
In Summe stehen den neun Forschern rund elf Millionen Euro zur Verfügung. Die Preisgelder sollen Freiheit und Flexibilität bei der Durchführung ihrer Forschungsarbeiten ermöglichen. Ausgewählt werden die Preisträger von einer Jury internationaler Wissenschafter. Rapp sei "ein Beleg für die exzellente Geistes- und Kulturwissenschaft in Österreich", erklärte Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP).
Rapp, geboren am 20. Juni 1961 in Gießen (Deutschland), ist seit 2011 Professorin für Byzantinistik an der Universität Wien und seit 2012 Leiterin der Abteilung Byzanzforschung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zuvor war sie 17 Jahre lang an der UCLA tätig. Wien bezeichnete sie als internationalen Top-Forschungsstandort ihres Fachs und angesichts der Tradition und der Vielzahl an ausgewiesenen Forschern auf diesem Gebiet als "Schlaraffenland der Byzantinistik".
Sozial- und Religionsgeschichte
Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf den Gebieten Sozial- und Religionsgeschichte. So beschäftigt sie sich etwa mit dem Ritual der Verbrüderung im Byzantinischen Reich, wo sich zwei Männer durch das Gebet eines Priesters zu Brüdern erklären lassen konnten, oder mit subversiven Strömungen in der byzantinischen Dichtkunst. In ihrem Projekt "Sinai Palimpsests" macht ein internationales Forscherteam mithilfe moderner Technik Texte auf Pergamenten aus dem Katharinenkloster im ägyptischen Sinai wieder sichtbar, die abgekratzt oder abgewaschen wurden, um das rare Pergament mehrfach zu nutzen.
Sie freue sich über den Preis "allein schon im Sinne einer Auszeichnung für die Grundlagenforschung und die historischen Geisteswissenschaften", sagte Rapp. Die Tatsache, dass damit eine hoch dotierte Fördersumme verbunden sei, werde ihr ermöglichen, zusammen mit Kollegen in Wien und in internationaler Zusammenarbeit der Byzanzforschung eine neue Richtung zu geben.
Fünfte Preisträgerin
Das wolle sie im Rahmen ihre Projekts zum Thema "Mobilität, Mikrostrukturen und persönliche Handlungsspielräume" tun. Dabei solle nicht nur kulturelle Mobilität, also Kulturkontakte und Kulturaustausch von Byzanz mit Europa und Asien erforscht werden, sondern auch die Mobilität im Sinne von sozialer Durchlässigkeit innerhalb der byzantinischen Gesellschaft.
Rapp ist nach Ruth Wodak (1996), Marjori Matzke (1997), Renee Schroeder (2003) und Ulrike Diebold (2013) die fünfte Frau, die den seit 1996 jährlich vergebenen Wittgensteinpreis erhalten hat. (APA/red, 8.6.2015)