Bloodhound SSC samt EJ200-Strahltriebwerk. Kennt man aus dem Eurofighter.

foto: bloodhound ssc

Extreme Geschwindigkeit, extremes Packaging.

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Richard Noble, der Mastermind des ambitionierten Projekts.

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Das Cockpit, in dem sich Pilot Andy Green einspannen wird. Schleudersitz gibt es nicht. Wäre bei einem Tempo von 1000 km/h plus auch körperlich anstrengend.

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Ein Pfeil für die Ewigkeit: 135.000 PS sollen es richten.

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Die Frage nach dem Warum muss man sich nicht lang auf der Großhirnrinde zergehen lassen. Sie ist ähnlich müßig wie die Frage, warum es die Menschheit gibt. Sie ist nun einmal da, hat Genies, Massenmörder sowie den Low-Fat-Frappuccino mit Extrasojamilchschaum, Fairtrade-Schokosauce und handgeraspelten Biohaselnusssplittern hervorgebracht. Warum also nicht einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufstellen?

Vor 116 Jahren beantwortete der Belgier Camille Jenatzy diese Frage mit seiner Jamais Contente zum ersten Mal. Mit 105,8 km/h markierten er und sein Elektromotor-Torpedo einen neuen, fantastischen Rekord. Seitdem machten sich dutzende Hasardeure daran, die jeweils aktuelle Bestmarke zu brechen. Der schnellste Mensch auf Erden zu sein - das war über Jahrzehnte hinweg das Öl, mit dem Hochleistungstüftler und/oder Speedjunkies zu Helden gesalbt wurden.

Der Mensch als lebende Stoßstange

1924 hielt man bei 225 km/h, 1939 bereits bei 595 km/h, Geschwindigkeiten, die kolossale Maschinenmonster mit etwa 2500 PS verantworteten, in denen irgendwo Platz für den Piloten gefunden wurde. Zur Not tat es auch ein Kabäuschen an der Front - der Mensch als lebende Stoßstange.

Sehr seriös war hingegen damals schon das Reglement, an dem sich bis heute wenig geändert hat: Gewertet wird die Höchstgeschwindigkeit während einer fliegenden Meile. Innerhalb einer Stunde muss das Gefährt in die entgegengesetzte Richtung zurückfahren, der Durchschnittswert aus beiden Messungen ergibt den neuen Rekord - oder auch nicht. Die Ausfallquote war hoch, die Mortalitätsrate auch.

Crazy Amis versus Insel-Freaks

Vor dem Zweiten Weltkrieg fanden vor allem britische Herrenfahrer Gefallen daran, ihren Sportsgeist auf Stränden oder Salzseen unter Beweis zu stellen. Nach 1945 stiegen wenig überraschend die Amerikaner in das Speedbusiness ein, warfen die an ihre Grenzen geratenen Verbrennungsmotoren raus und verbauten Düsenjetantriebe.

1964 schraubte Craig Breedlove mit seinem Green Monster den Rekord auf 863 km/h. Erst 1983 gelang es den Briten wieder, die Trophäe zurückzuholen. Richard Nobles Thrust2 zeigte den Amis mit 1019 km/h, wozu die Freaks von der Insel fähig sind. 1997 schickte Noble seinen Fahrer Andy Green, einen Prototypentestpiloten der RAF, mit dem Thrust SSC und mit einem historischen Knall durch die Schallmauer: 1228 km/h, Mach 1,06.

Ein Steinchen kann entscheiden

Eine Meisterleistung für die Ewigkeit, so schien es. Denn die Truppe rund um Noble und Green war sich einig, dass der Thrust SSC in Grenzregionen der Physik vorgestoßen war, die jeden weiteren Versuch in den Rang einer Weltraummission heben würden. Allein die Beherrschung der Aerodynamik ist bei einer Geschwindigkeit ab 1000 km/h ein Vabanquespiel mit der Physik. So zerren gleichzeitig Strömungsgeschwindigkeiten im Über- und Unterschallbereich an der Karosserie, die Vollaluräder kämpfen mit thermischen Problemen, jedes Steinchen auf der Piste könnte zum Unheilsbringer werden, der mit der Geschwindigkeit eines Projektils auf das Fahrzeug trifft.

All das haben Richard Noble, heute 69, und sein Pilot Andy Green gewusst und vielleicht auch bedacht, als sie vor etwa zehn Jahren beschlossen, es noch einmal zu wagen, einen neuen Landgeschwindigkeitsrekord in den Geschichtsbüchern zu verewigen: 1000 Meilen/Stunde, umgerechnet 1609 km/h, lautete die Vorgabe. Bloodhound SSC heißt der Hoffnungsträger, dessen Rekordfahrt im Sommer 2016 auf der Hakskeen Pan in Südafrika in Szene gehen soll.

Schon mehrmals wurde der Start verschoben, Finanzierungsprobleme und die Gesetze der Physik warfen das mit 57,6 Mio. Euro budgetierte Vorhaben immer wieder zurück, ein Projekt, das mittlerweile zu einem nationalen Ereignis abseits von Motorenpatriotismus aufgestiegen ist.

Schüler auf Speed

Großbritannien sucht dringend Ingenieure, das Leuchtturmprojekt soll die Jungen hinter den Spielkonsolen hervorlocken. Need for Speed auf real. Mehr als 5700 britische Sekundarschulen sind mit dem Bloodhound Education Project verlinkt, tausende Schüler haben die Werkshallen in Bristol bereits besucht. Gleichzeitig setzt das Team um Mastermind Richard Noble auf volle Transparenz. Alle technischen Details sind Open Source, im Internet abrufbar und sollen so zum Weitertüfteln animieren.

Die Rekordfahrt selbst wird mit Cockpit- und Onboardkameras online übertragen - so die Truppe aus Bristol mit dem Bloodhound SSC ihr Gerät in den Griff bekommt, das vorderhand mit exaltierten Daten aufwartet: Länge: 13,5 Meter. Gewicht: 7,8 Tonnen. Motorisierung: ein EJ200-Strahltriebwerk, bekannt aus dem Eurofighter Typhoon, kombiniert mit einem Raketenantrieb, der für gewöhnlich in einer Ariane 5 zum Einsatz kommt, dazu ein 800-PS-Verbrennungsmotor, der die 800 Liter Treibstoff einschießt. Unfassbare 135.000 PS bringt das Gerät auf die Hinterräder, das sind umgerechnet 193 Lamborghini Aventadors.

Handarbeit ist gefragt

Nach 55 Sekunden soll der Bloodhound SSC die magische Marke von 1000 Meilen/Stunde erreicht haben. Eine Geschwindigkeit, die locker ausreicht, um ein aus einer Magnum abgefeuertes Projektil zu überholen. Doch bevor die Hightech-Bodenrakete abgeschossen wird, um einen wohl final gültigen Rekord aufzustellen, ist in Südafrika noch banale Handarbeit gefragt. 6000 Tonnen Steine müssen von der Sandpiste beseitigt werden - damit kein Steinchen auf dem Weg zur Ewigkeit Schicksal spielt. (Stefan Schlögl, 20.6.2015)